– von Andreas Rinke und Alexander Ratz und Christian Krämer
Berlin (Reuters) – Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner ersten Regierungserklärung im Bundestag einen Aufbruch für Deutschland durch die Ampelkoalition beschworen.
“Vor uns allen liegen große Aufgaben und entscheidende Weichenstellungen”, sagte der SPD-Politiker in seiner mehr als 90-minütigen Rede am Mittwoch und verwies auf Klimawandel, Globalisierung und Sicherheitsfragen. “Wir haben keine Zeit zu verlieren.” Scholz präsentierte einen Überblick über die zentralen Projekte, die SPD, Grüne und FDP in den kommenden vier Jahren anpacken wollen. “Damit liegt vor uns die größte Transformation unserer Industrie und Ökonomie seit mindestens 100 Jahren.” Mehrfach betonte der Kanzler in seiner Rede, dass man Zuversicht brauche und haben könne. “Ja, das wird auch gut ausgehen”, sagte er mit Blick auf die Herausforderungen. “Wir werden sie bewältigen.” Von der Opposition kam scharfe Kritik sowohl an Scholz als auch an Finanzminister Christian Lindner (FDP).
Scholz versicherte zugleich den europäischen und transatlantischen Partnern Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit. Für die EU, die er erst im hinteren Teil seiner Rede erwähnte, forderte er den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen in Bereichen, in denen bisher nur die Einstimmigkeit gilt. Dies würde etwa die Außen- und die Finanzpolitik betreffen.
SCHOLZ – RECHTSEXTREMISMUS GRÖSSTE BEDROHUNG
Im Zusammenhang mit der Corona-Bekämpfung betonte Scholz einerseits die Bedeutung des Impfens. Andererseits setzte er radikalen Impfgegner deutliche Schranken: “Wir werden ihnen mit allen Mitteln unseres demokratischen Rechtsstaats entgegentreten”, betonte er. “Unsere Demokratie ist eine wehrhafte Demokratie.” Zugleich sagte Scholz: “Die größte Bedrohung für unsere Demokratie ist der Rechtsextremismus”.
Als kurzfristige Ziele nannte er für 2022 die Einführung eines Mindestlohns von zwölf Euro und den Start eines kapitalgedeckten Teils der Altersversorgung. Scholz bekräftigte, dass für die nötigen Investitionen die erforderlichen Haushaltsmittel bereitstünden, auch wenn der größte Teil privatwirtschaftlich erbracht werde. Zugleich dämpfte er Erwartungen auch in der Ampel-Koalition: “Nicht alles, was wünschenswert ist, wird sofort machbar sein”, sagte der SPD-Politiker. Notwendige Maßnahmen für den Umbau der Wirtschaft hin zu Klimaneutralität könnten aber finanziert werden. “Neue Finanzspielräume entstehen durch Wachstum”, ergänzte der frühere Bundesfinanzminister. Mit dem Nachtragshaushalt für 2021, den die neue Ampel-Regierung diese Woche in den Bundestag einbringt, werden 60 Milliarden Euro an bislang ungenutzten Kreditermächtigungen für spätere Investitionen im Klimafonds geparkt. Die Opposition hält das Vorgehen für verfassungswidrig.
Die doppelte Aufgabe sei es, die nötige Erneuerung eines starken Landes zu erreichen und gleichzeitig die Gesellschaft zusammenzuhalten. Scholz bezeichnete Deutschland als Einwanderungs- und Integrationsland, das sehr viel mehr Zuwanderung von Arbeitskräften brauche. Menschen erwarteten von der Regierung, dass sie auch beim bevorstehenden Wandel Sicherheit organisiere – dies gelte für die innere Sicherheit ebenso wie für die soziale Absicherung und bessere Bildungschancen.
Der neue Kanzler beschrieb den Kampf gegen den Klimawandel mit dem Umbau etwa der Energiewirtschaft als eine der zentralen Aufgaben. Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse so entschieden vorangetrieben werden, dass der im Koalitionsvertrag erwähnte Kohleausstieg “idealerweise” bis 2030 auch umgesetzt werden könne. Beim Ausbau der Verkehrswege setze die Bundesregierung vor allem auf den Schienenausbau. Scholz bekannte sich aber auch zur Zukunft des Autos: “Viele fahren gern mit dem Auto und das soll auch so bleiben.”
SCHARFE KRITIK VON BRINKHAUS, AFD UND LINKEN
Oppositionsführer Ralph Brinkhaus warf Scholz vor, dass er überhaupt kein Aufbruch-Gefühl verkörpere. Besonders scharf waren seine Attacken gegen den neuen Finanzminister Lindner. Die FDP sei gewählt worden für nachhaltige Finanzen. Dieses Versprechen habe gerade einmal fünf Tage gehalten. Der nun von Lindner vorgelegte Nachtragshaushalt sei “ein Sägen an dem Fundament der Schuldenbremse”, sagte der CDU-Politiker. Er warte nun nur noch darauf, dass die Ampel-Koalition auch die Steuern erhöhe. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf Scholz vor, er wolle “die Schuldenbremse betrügen”. Die Ampel starte einen “Verschuldungsturbo”.
Die AfD-Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel nannte die FDP eine “Umfallerpartei”. Mit Blick auf den Nachtragshaushalt sprach sie von “Steigbügelhaltern für grüne Projekte”. Der neue FDP-Fraktionschef Christian Dürr schloss dagegen Steuererhöhungen der Ampel-Koalition erneut aus. Kritik kam auch von den Linken. Fraktionschefin Amira Mohamed Ali kritisierte die Finanzpolitik der Ampel-Koalition als unsozial. “Dass einfache und mittlere Einkommen entlastet werden, davon ist keine Rede mehr”, sagte sie im Bundestag. Auch die Besteuerung von Superreichen sei nicht geplant.