Santiago (Reuters) – Chile nimmt mit dem Wahlsieg des linksgerichteten Präsidentschaftskandidaten Gabriel Boric Kurs auf eine grundlegenden Wandel seines politischen Systems.
Anhänger des 35 Jahre alte ehemaligen Anführers von Studentenprotesten erwarten eine Abkehr von einem liberalen Wirtschaftsmodel, dessen Grundlagen der Ex-Diktator Augusto Pinochet in den 1980er Jahren gelegt hatte und das vor allem auf das freie Spiel der Marktkräfte setzte. Damit wurde zwar ein beträchtliches Wirtschaftswachstum in Gang gesetzt, gleichzeitig aber verschärften sich die Unterschiede zwischen armen und reichen Chilenen.
Der 35 Jahre alte Boric setzte sich am Sonntag nach Auszählung fast aller Stimmen mit knapp 56 Prozent deutlich gegen den rechtskonservativen Jose Antonio Kast (rund 44 Prozent) durch. Dessen politischer Kurs wurde häufig mit dem des umstrittenen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro verglichen. Am Wochenende hatte Boric in einem offenen Brief versprochen, dass seine Regierung die Forderungen umsetzen werde, die bei den 2019 ausgebrochenen, massiven Protesten gegen soziale Ungerechtigkeit erhoben wurden.
Die Demonstrationen trugen dazu bei, dass die Verfassung aus der Ära Pinochet überarbeitet wird. Die von progessiv-linken Kräften dominierte verfassungsgebende Versammlung will die neue Verfassung 2022 vorstellen, über die dann per Volksabstimmung entschieden werden soll. Auch damit würde sich ein Linksrutsch vollziehen, für den Boric steht.
Boric steht nach den Worten des Universitätsprofessors Miguel Angel Lopez vor schweren Aufgaben angesichts unsicherer wirtschaftlicher Aussichten und eines gespaltenen Kongresses, in dem seine Anhänger nicht über eine Mehrheit verfügen. Viel werde von seiner ersten Grundsatzrede abhängen, sagte Lopez in Santiago de Chile. Er müsse damit die in der Bevölkerung weit verbreitete Verunsicherung beenden. Viel hänge auch von den Ernennungen der Regierungsmitglieder und seinen Entscheidungen ab. “Internationale Investoren werden das genau beobachten.”