Berlin (Reuters) – Nach den von Bund und Ländern beschlossenen Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte reißen Forderungen nach schärferen Corona-Maßnahmen nicht ab.
Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen hält die Beschlüsse für unzureichend und fordert vorsorgliche Lockdown-Vorbereitungen. “Die Beschlüsse sind ein Schritt in die richtige Richtung, aber sie können die Omikron-Gefahr wahrscheinlich nicht bändigen”, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk. “Wir müssen meines Erachtens sofort in der Lage sein, einen weitergehenden Lockdown zu beschließen und sollten deshalb uns jederzeit bereit halten.” Kritik kam auch von der Union: “Kurz zusammengefasst: zu wenig, zu spät”, sagte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus in der ARD.
Bund und Länder hatten am Dienstag wegen der schnellen Ausbreitung der sehr infektiösen Omikron-Variante beschlossen, dass ab dem 28. Dezember generell nur noch maximal zehn Personen zusammenkommen können. Kinder bis 14 Jahren zählen nicht dazu. Clubs und Diskotheken müssen schließen, Großveranstaltungen wie Fußball-Spiele bis auf weiteres ohne Zuschauer ausgetragen werden. Das Robert-Koch-Institut (RKI) hatte dagegen “maximale Kontaktbeschränkungen” empfohlen, die ab sofort bis zunächst Mitte Januar gelten sollten.
Bundeskanzler Olaf Scholz sieht die Beschlüsse jedoch nicht im Widerspruch zu den Empfehlungen. “Ich bin sehr dankbar für die Arbeit, die das RKI leistet”, sagte der SPD-Politiker. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sieht für weitere Schritte “keine roten Linien”. “Aber jetzt wurde das Richtige getan”, schrieb er auf Twitter. Zusammen mit RKI-Präsident Lothar Wieler wollte sich Lauterbach am Mittwochmittag in der Bundespressekonferenz zur Corona-Lage äußern. Bund und Länder wollen das nächste Mal am 7. Januar über das weitere Vorgehen beraten.
ETHIKRAT EMPFIEHLT AUSWEITUNG DER IMPFPFLICHT
Die Kliniken halten angesichts der drohenden Omikron-Welle eine weitere Verschärfung der Maßnahmen für denkbar. Die nun beschlossenen Kontaktbeschränkungen seien “notwendig, möglicherweise aber nicht ausreichend”, sagte der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Deshalb sei es notwendig, dass die Lage weiterhin täglich beobachtet und analysiert werde. “Gegebenenfalls muss dann kurzfristig nachgesteuert werden.” Gaß fordert die Politik parteiübergreifend auf, “die Debatte um die allgemeine Impfpflicht nicht auf die lange Bank zu schieben, sondern kurzfristig hier eine Entscheidung zu treffen.”
Der Deutsche Ethikrat sprach sich in einer aktuellen Empfehlung mehrheitlich für eine Ausweitung der gesetzlichen Impfpflicht über die bestehende Impfpflicht in Einrichtungen wie Pflegeheimen und Krankenhäusern aus. Zum Umfang der Ausweitung gingen die Meinungen allerdings auseinander. Diese müsse flankiert werden durch sehr viele niedrigschwellige Impfangebote. Soweit möglich, solle der Impfstoff frei gewählt werden können. Zudem empfiehlt das Gremium, das die Bundesregierung in ethischen Fragen berät, eine direkte Einladung mit personalisierten Impfterminen, ein datensicheres nationales Impfregister und ein umfassendes Beratungsangebot.
Für Mittwoch meldete das RKI binnen 24 Stunden 45.659 Corona-Neuinfektionen, das sind 5642 Fälle weniger als vor einer Woche. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz sinkt auf 289,0 von 306,4 am Vortag. 510 weitere Menschen starben in Zusammenhang mit dem Virus. Sollte die Dynamik der bevorstehenden Omikron-Welle nicht gebremst werden, rechnet das RKI aber aufgrund der in kurzer Zeit zu erwartenden hohen Fallzahlen mit einer Überlastung des Gesundheitssystems. Nach Einschätzung des Laborverbands ALM ist Omikron in Deutschland womöglich schon verbreiteter, als die offiziellen Daten vermuten lassen. Er geht von einer Untererfassung der Omikron-Fälle aus: “Das liegt auch daran, dass gegebenenfalls sich nicht alle Personen mit Symptomen auch auf SARS-CoV-2 mittels PCR testen lassen.”