Nordirlands Regierungschef tritt im Brexit-Streit zurück

Belfast/London (Reuters) – Aus Protest gegen Brexit-Handelsregeln ist der Regierungschef der britischen Provinz Nordirland, Paul Givan, am Donnerstag zurückgetreten.

Der Politiker gehört der protestantischen, pro-britischen Democratic Unionist Party (DUP) an, die das im Zuge des Brexit mit der EU vereinbarte Nordirland-Protokoll ablehnt. Darüber war am Mittwoch ein offener Streit zwischen Nordirland und dem EU-Staat Irland ausgebrochen. Givans Rücktritt könnte nicht nur die Verhandlungen der Briten mit der EU über eine Änderung der Vereinbarung beeinträchtigen. Drei Monate vor den Wahlen in Nordirland dürfte Givans Abgang zudem die Politik in der Provinz lähmen, weil Vize-Regierungschefin Michelle O’Neill von der katholischen, irisch-nationalistischen Sinn Fein automatisch ebenfalls zurücktreten muss.

“Am heutigen Tag endet das, was das Privileg meines Lebens war”, sagte Givan vor Journalisten. Er bekleidete das Amt weniger als ein Jahr. Givans Parteikollege, Landwirtschaftsminister Edwin Poots, hatte am Mittwoch angeordnet, in Nordirland Kontrollen bestimmter Waren von der britischen Insel zu stoppen. Damit entfiele dort die im Brexit-Vertrag vereinbarte Einfuhrkontrolle für Agrarprodukte aus Großbritannien in die EU.

Der Vorstoß hatte Kritik der EU, Irlands und auch Deutschlands ausgelöst. “Verträge sind einzuhalten”, sagte die Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, Franziska Brantner (Grüne), der Nachrichtenagentur Reuters. “Das Nordirland-Protokoll gilt. Wir müssen unseren europäischen Binnenmarkt schützen und sind zu Konsequenzen bereit, sollte Großbritannien nicht nach den Regeln spielen.”

ANORDNUNG NOCH NICHT UMGESETZT – BEAMTE BEDENKEN FOLGEN

Die Anordnung des Landwirtschaftsministers wird unterdessen vorerst nicht umgesetzt. Sein Ministerium erklärte, die Beamten würden sich nicht verweigern. Sie würden aber über die weiteren Auswirkungen nachdenken. Auch ein Sprecher des britischen Premierministers Boris Johnson sagte, die Überprüfung von Agrar-Lebensmitteln, die nach Nordirland kämen, gingen weiter. Die Kontrollen fänden in den Häfen von Nordirland so statt wie bisher. Es liege zunächst bei der nordirischen Regierung in Belfast, einen Streit mit der EU darüber beizulegen. Johnson selbst sagte darüber hinaus, es sei “verrückt”, überhaupt Kontrollen zu haben.

Durch das Protokoll soll sichergestellt werden, dass EU-Regeln in Irland gelten, ohne dass dafür Grenzkontrollen zwischen dem EU-Mitglied und dem als Teil Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft ausgetretenen Nordirland eingeführt werden müssen. In der Folge haben sich die Kontrollen des Warenverkehrs aber auf die Seegrenze zwischen der britischen Hauptinsel und Nordirland verlagert. Nordirische Unionisten wie die Politiker der DUP laufen dagegen Sturm, sie sehen darin Anfänge einer Trennung vom Königreich. Großbritannien forderte daraufhin, das im Zuge des EU-Ausstiegs unterzeichnete Protokoll noch einmal zu ändern. Seit Monaten wird darüber zwischen London und Brüssel verhandelt, Experten rechnen nun noch weniger mit einem baldigen Durchbruch als bisher.

In Belfast forderte die DUP-Rivalin Sinn Fein vorgezogene Neuwahlen. Umfragen zufolge liegt sie vor der DUP und könnte erstmals stärkste Kraft in Nordirland werden. In Belfast müssen Vertreter des katholisch und des protestantisch geprägten Lagers zusammen regieren. Diese Bestimmung ist Teil des Karfreitagsabkommens von 1998, mit dem die jahrzehntelange Gewalt in Nordirland beendet werden konnte. Die Grenze zwischen der Republik Irland und der Provinz Nordirland gilt aus diesen historischen Gründen als sensibel, was sich im Nordirland-Protokoll niedergeschlagen hat. Beim Brexit-Referendum 2016 stimmten die Nordiren für einen Verbleib in der EU.

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