Westen zu Russland-Sanktionen entschlossen – Nord Stream 2 auf Eis

– von Bart H. Meijer und Andreas Rinke

Brüssel/Berlin (Reuters) – Als Reaktion auf das russische Vorgehen in der Ukraine ist der Westen zu einer ersten Runde harter Sanktionen gegen die Regierung in Moskau entschlossen.

Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte am Dienstag in Berlin an, die Inbetriebnahme der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 auf Eis zu legen. In Paris berieten die EU-Außenminister über weitere Strafmaßnahmen. Dabei standen die Sanktionierung von mehreren hundert Abgeordneten der russischen Staatsduma, russischen Unternehmen und Banken sowie ein Verbot des Handels mit russischen Staatsanleihen im Raum. In Moskau erklärte das Präsidialamt, mit der Anerkennung der Unabhängigkeit der beiden abtrünnigen Regionen in der Ost-Ukraine solle die Ruhe wiederhergestellt werden. Russland bleibe gegenüber den USA und anderen Staaten offen für Diplomatie.

Scholz sagte in Berlin, er habe das Bundeswirtschaftsministerium angewiesen, eine Neubewertung der Versorgungssicherheit vorzunehmen, die Grundlage für eine Zertifizierung und Betrieberlaubnis für Nord Stream 2 ist. “Das wird sich sicher hinziehen”, sagte Scholz. Der Bericht zur Versorgungssicherheit müsse im Lichte der neuen Entwicklungen abgefasst werden. Das milliardenschwere Projekt soll Erdgas aus Russland direkt nach Deutschland transportieren. Zugleich verteidigte der Kanzler, dass die USA und die Europäer nach der Anerkennung der Separatistengebiete durch Russland noch nicht das volle Sanktionspaket auf den Tisch gelegt hätten. “Das ist der richtige Wege.”

In Brüssel erklärten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel, die geplanten Strafmaßnahmen richteten sich gegen jene, die an der Entscheidung zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Rebellenregionen Luhansk und Donzezk beteiligt gewesen seien. Betroffen seien auch Banken, die russische Unternehmen in diesen Regionen finanzierten. Die Sanktionen würden auf die Fähigkeit des russischen Staates und der Regierung zielen, Zugang zu den Kapital- und Finanzmärkten und den Dienstleistungen der EU zu erhalten. Die EU sei bereit, zusätzliche Maßnahmen zu einem späteren Zeitpunkt zu ergreifen, falls erforderlich.

Auch die USA wollten noch am Dienstag weitere Sanktionen gegen Russland ankündigen. Das US-Präsidialamt teilte mit, dies werde mit den Verbündeten und Partnern koordiniert. Präsident Joe Biden unterzeichnete bereits ein Dekret, das Geschäfte in oder mit den beiden Separatisten-Regionen verbietet. Zudem bereitet die US-Regierung Insidern zufolge Maßnahmen vor, die auf den Bankensektor zielen. In diese Richtung gehen auch geplante Strafmaßnahmen Großbritanniens, wie Premierminister Boris Johnson in London ankündigte. “Unsere Sanktionen werden Russland hart treffen.” Und er gehe davon aus, dass Putin die Aggressionen fortsetzen und damit weitere Sanktionen provozieren werde, sagte Johnson.

PANZER IN DONEZK

In den Außenbezirken der Stadt Donezk rollten am frühen Dienstagmorgen Militärfahrzeuge durch die Straßen. Darunter waren auch mehrere nicht gekennzeichnete Panzer, wie ein Reuters-Mitarbeiter berichtete. Am Dienstag waren an der sogenannten Kontaktlinie, die die Gebiete der pro-russischen Separatisten von den ukrainischen Regierungstruppen trennt, wieder Gefechte zu hören, wie die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) berichteten.

Eine Errichtung russischer Militärstützpunkte in der Ost-Ukraine ist nach Angaben des Außenministeriums in Moskau derzeit nicht in der Diskussion. Russland könnte aber diese Schritte unternehmen, sollten sie notwendig sein, meldete die Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf das Ministerium. Putin hatte die Entsendung von “Friedenstruppen” in die Separatistengebiete im Osten der Ukraine angekündigt, nachdem er die Regionen Donezk und Luhansk am Montagabend als unabhängig anerkannt hatte. Der Westen verurteilte das Vorgehen als Verletzung des Völkerrechts und der territorialen Integrität der Ukraine.

PUTIN: UKRAINE GEHÖRT HISTORISCH ZU RUSSLAND

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte, sein Land sei weiter dem Weg der Diplomatie verpflichtet, und forderte zugleich Unterstützung ein. “Es ist sehr wichtig zu sehen, wer unser wirklicher Freund und Partner ist und wer der Russischen Föderation weiterhin mit Worten Angst einjagen wird.” Außenminister Dmytro Kuleba lobte die Entscheidung von Bundeskanzler Scholz, Nord Stream 2 auf Eis zu legen. “Das ist moralisch, politisch und praktisch der richtige Schritt unter den gegenwärtigen Umständen”, schrieb Kuleba auf Twitter. “Wahre Führung bedeutet harte Entscheidungen in schwierigen Zeiten. Deutschlands Schritt beweist genau das.”

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warf Putin vor, mit der Anerkennung einen Vorwand für die Invasion der Ukraine geschaffen zu haben. Nach Ansicht der USA stellt die Entsendung russischer Truppen in die abtrünnigen Regionen aber noch keine Invasion dar, die ein umfassenderes Sanktionspaket auslösen würde. “Dies ist keine weitere Invasion, da es sich um Gebiete handelt, die sie bereits besetzt haben”, sagte ein US-Regierungsmitarbeiter. Russland habe bereits seit acht Jahren Truppen im Donbass und “mache das jetzt nur auf eine offensichtlichere Art und Weise. Aber wir machen uns keine Illusionen über das, was als Nächstes kommen wird.”

In einer knapp einstündigen Rede hatte Putin am Montagabend der Nato schwere Vorwürfe gemacht und zugleich betont, die Ukraine gehöre historisch zu Russland. Russland hat nach westlichen Angaben weit über 100.000 Soldaten an der Grenzen zur Ost-Ukraine zusammengezogen. Weitere 30.000 Soldaten halten sich nach Nato-Angaben in Belarus nördlich der Ukraine auf. Zudem ist das russische Militär auf der 2014 von der Ukraine annektierten Halbinsel Krim sowie im Schwarzen Meer südlich der Ukraine präsent.

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