Brüssel/Frankfurt (Reuters) – Die EZB hat den russischen Angriff auf die Ukraine bei ihrer bald anstehenden Zinssitzung fest im Blick.
Die Europäische Zentralbank (EZB) ließ am Donnerstag wissen, dass sie bei dem Treffen am 10. März eine umfassende Bewertung des Konjunkturausblicks vornehmen werde: “Dies beinhaltet die Entwicklungen auf geopolitischem Gebiet.” Laut EZB-Chefvolkswirt Philip Lane haben die geopolitischen Spannungen nicht nur Auswirkungen auf die Öl- und Gaspreise, sondern auch auf das Vertrauen der Anleger und der Verbraucher sowie den Handel.
Was die Inflation betreffe, gebe es daher nicht “nur den mechanischen Effekt durch die Rohstoffpreise”, sagte Lane der “FAZ”. Für die mittelfristigen Aussichten für die Inflation müssten auch die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen berücksichtigt werden.
MAHNUNG ZUR VORSICHT
Der russische Einmarsch in der Nacht zum Donnerstag ereignete sich nur wenige Stunden vor Beginn eines bereits vor längerer Zeit anberaumten informellen Treffens des EZB-Rats in Paris. Die Unterredung dürfte zur Vorbereitung der Zinssitzung im März dienen, bei dem die EZB nach bisheriger Markterwartung einen strafferen Kurs signalisieren könnte. Doch der militärische Konflikt in der Ukraine könnte die Währungshüter laut manchen Analysten zu einem vorsichtigeren Vorgehen veranlassen. Auch der griechische Notenbankchef Yannis Stournaras mahnte im Gespräch mit Reuters zur Zurückhaltung: Rufe nach einem Ende der Anleihenkäufe der EZB erteilte er eine Absage. Er würde es eher befürworten, das sogenannte APP-Programm “mindestens bis zum Jahresende” fortzusetzen: “Das ist Teil der Vorsicht, von der ich spreche.”
Die Anleihen-Zukäufe über das Pandemie-Notprogramm PEPP enden im Frühjahr. Die EZB hat im Dezember jedoch beschlossen, das kleinere APP in abgewandelter Form weiterzuführen. Das Ende blieb offen. Dieses gilt aber als Voraussetzung für eine Zinswende, die kurz nach Ende des Programms eingeleitet werden soll. So steht es in der Forward Guidance – der Orientierungslinie der EZB für die Finanzmärkte.
ANLEIHENKÄUFE IM FOKUS
Laut ING-Ökonom Carsten Brzeski dürften die Währungshüter am 10. März wohl noch kein festes Enddatum für die Käufe festlegen – und damit auch eine Zinswende weiter in der Schwebe halten. Das informelle Treffen in Paris stehe nun ganz im Zeichen des russischen Einmarsches in der Ukraine: “Das ist jetzt etwas ganz anderes.” Zugleich sinke auch der Druck auf die Währungshüter, im März eine Entscheidung zu einem strafferen Kurs herbeiführen zu müssen.
Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank ist anderer Meinung: “Die EZB wird einen vorzeitigen Ausstieg aus ihren Wertpapierankaufprogrammen ankündigen. Damit ist aber klar, dass es bei diesem Konflikt keine geldpolitische Unterstützung der Notenbanken geben wird. Die Inflationsrisiken wiegen hierfür zu schwer.” Die EZB sieht sich mit einer Rekord-Inflationsrate von 5,1 Prozent konfrontiert, die weit über das Ziel der Notenbank von 2,0 Prozent hinausgeschossen ist. Haupttreiber der Inflation sind die stark gestiegenen Preise für Energie, die nun im Zuge des bewaffneten Ukraine-Konflikts noch weiter angeheizt werden.