Frankfurt (Reuters) – Der Öl- und Gaskonzern Wintershall Dea geht bei einem Aus für die Gaspipeline Nord Stream 2 von einer Entschädigung für die Projektgesellschaft aus.
Nach Einschätzung von Wintershall Dea sei derzeit kein belastbares Szenario denkbar, in dem es zu politischer Intervention ohne Entschädigung käme, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Geschäftsbericht des Unternehmens. Auch wenn das bisher noch nicht abgeschlossene Zertifizierungsverfahren die Inbetriebnahme der Pipeline verzögere, rechne Wintershall Dea damit, dass die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Finanzinvestoren erfüllt würden.
Die umstrittene Ostsee-Pipeline steht angesichts der Eskalation der Ukraine-Krise auf der Kippe. Als Reaktion auf das russische Vorgehen in der Ukraine hatte die Bundesregierung die Inbetriebnahme am Dienstag auf Eis gelegt. US-Präsident Joe Biden kündigte Sanktionen gegen die Nord Stream 2 AG und deren Management an. In der Nacht zum Donnerstag startete Russland über mehrere Flanken einen Angriff auf die Ukraine und sorgte damit weltweit für Entsetzen.
Für Wintershall Dea steht viel auf dem Spiel: Das Unternehmen ist an der Finanzierung von Nord Stream 2 beteiligt und hat der Projektgesellschaft ein Darlehen über 730 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. An der Finanzierung sind auch der Versorger Uniper, die österreichische OMV, die französische Engie und Shell beteiligt. Die Gesamtkosten waren auf 9,5 Milliarden Euro beziffert worden. Der russische Gaskonzern Gazprom, dem die in der Schweiz ansässige Projektgesellschaft gehört, ist mit Abstand der wichtigste Partner für Wintershall Dea. Vorstandschef Mario Mehren hatte in der Vergangenheit wiederholt betont, dass es ohne Russland für Europa keine Energiesicherheit gebe.
Seine für Donnerstag angesetzte Jahrespressekonferenz sagte der Konzern angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine ab. “Die jüngste militärische Eskalation erschüttert auch die über Jahrzehnte aufgebaute wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und Europa und wird weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen. In welchem Umfang, das ist heute noch gar nicht abzusehen”, erklärte Mehren.
Im vierten Quartal des vergangenen Geschäftsjahres fuhr Wintershall Dea dank der hohen Energiepreise einen bereinigten Betriebsgewinn von 1,5 Milliarden Euro ein nach 500 Millionen Euro vor Jahresfrist. Im Gesamtjahr sprang er auf 3,83 Milliarden Euro von 1,64 Milliarden Euro in die Höhe. Die Produktion lag 2021 mit 634.000 Barrel Öläquivalent (BOE) pro Tag um rund zwei Prozent über dem Vorjahresniveau. 2022 strebt Wintershall Dea 610.000 bis 630.000 BOE pro Tag an. Der Betriebsgewinn soll leicht zulegen.
Wintershall Dea entstand 2019 aus dem Zusammenschluss der BASF-Tochter Wintershall mit dem Rivalen Dea. Der Ludwigshafener Chemieriese BASF ist mit 67 Prozent beteiligt, die Investmentfirma Letter One des russischen Unternehmers Michail Fridman hält als ehemalige Dea-Eignerin 33 Prozent.