Berlin (Reuters) – Trotz Forderungen aus der Ukraine und Überlegungen in den USA stemmt sich die Bundesregierung gegen einen Importstopp für russische Energielieferungen. Man arbeite zwar seit Monaten mit Hochdruck daran, Alternativen zur russischen Versorgung zu entwickeln, erklärte Kanzler Olaf Scholz am Montag. “Das geht aber nicht von heute auf morgen.” Daher führe man die Kooperation bei Energielieferungen weiter. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagte, die Option des Importstopps liege auf dem Tisch. “Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint es für die Durchhaltefähigkeit der Sanktionen gegenüber Wladimir Putin aber ratsam, diesen Schritt nicht selbst zu gehen.” Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte bereits im Fall des Embargos eine Gefahr für den sozialen Frieden ausgemacht. Die weltweite Debatte um eine Importstopp trieb weltweit die Energie- und Rohstoffpreise auf neue Rekordstände.
Deutschland ist mehr noch als andere Länder auf Energie-Importe aus Russland angewiesen: Über die Hälfte des Gas-Bedarfs stammt aus Russland und mehr als ein Drittel des Öls. Die Ukraine fordert einen Importstopp, da Russland sich trotz der Sanktionen über die Rohstoff-Exporte finanziere. Befeuert wurde die Debatte zuletzt durch die USA, wo zumindest ein Öl-Embargo erwogen wird. Nach Angaben der Präsidentin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, prüft die Kongress-Kammer derzeit eine Gesetzesinitiative. “Unser Entwurf würde die Einfuhr von russischem Öl und Energieprodukten in die USA verbieten, die normalen Handelsbeziehungen mit Russland und Belarus aufheben und damit den ersten Schritt gehen, um Russland den Zugang zur Welthandelsorganisation zu verwehren.” Medienberichten zufolge führt die US-Regierung Gespräche mit Japan und den EU über ein Embargo.
Wegen der Diskussion schnellten die Energie- und Rohstoffpreise an den Weltbörsen in die Höhe. Der Erdgas-Preis steuerte mit einem Plus von über 60 Prozent auf den größten Tagesgewinn seiner Geschichte zu. Der Preis für die Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee sprang um knapp 20 Prozent nach oben und erreichte mit über 139 Dollar je Barrel (159 Liter) den höchsten Stand seit über 13 Jahren. “Bei einem Verbot von Energie-Importen werden wir kurzfristig in eine Situation kommen, in der die Regierungen bestimmte Rohstoffe rationieren müssen”, warnte Elwin de Groot, Chef-Anlagestratege der Rabobank. Dax und EuroStoxx50 fielen zeitweise um drei Prozent.
GASVERBAND: KEINE ALTERNATIVE ZU RUSSISCHEM GAS
Der Geschäftsführer des Verbands Zukunft Gas, Timm Kehler, warnte: “Alternative Beschaffungsrouten für Erdgas sind nicht leistungsfähig genug, um kurzfristig eine vollständige Versorgung und mit Blick auf den kommenden Winter eine hinreichende Speicherbefüllung sicherzustellen.” Flüssiggas werde keinen kurzfristigen Beitrag leisten können. “Sollten Liefermengen ausbleiben und nicht durch andere Routen ersetzt werden, so werden Last-Abschaltungen zuerst in der Industrie vorgenommen, um Haushalte und andere geschützte Kundengruppen mit Gas versorgen zu können”, verwies er auf Notfall-Pläne der Regierung.
Strom- und Gaskunden in Deutschland müssen sich bereits wegen des Anstiegs der Vergangenheit auf hohe Preise einstellen: Seit dem vergangenen Sommer hätten Gasgrundversorger in 1374 Fällen ihre Preise angehoben oder dies angekündigt, teilte das Vergleichsportal Check24 mit. Im Durchschnitt lägen die Aufschläge bei 56,5 Prozent. Betroffen seien gut 4,1 Millionen Haushalte. Für einen Musterhaushalt mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden bedeutet das zusätzliche Kosten von durchschnittlich 864 Euro pro Jahr.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag des “Handelsblatts” sind die Bürger trotz Spritpreisen über zwei Euro mehrheitlich für einen Stopp der Öl- und Gasimporte. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung. Demnach befürworteten 54 Prozent einen solchen Schritt. 30 Prozent erklärten auf eine entsprechende Frage, sie seien voll und ganz dafür. 24 Prozent antworteten mit: “befürworte ich eher”.