Ampel-Regierung hält an Kohle- und Atom-Ausstieg fest

– von Andreas Rinke und Tom Käckenhoff und Matthias Inverardi

Berlin/Düsseldorf (Reuters) – Trotz der Debatte um Sanktionen gegen russische Öl- und Gaslieferungen hält die Bundesregierung an ihrem Kurs in der Energiepolitik fest: Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke (beide Grüne) sprachen sich am Dienstag in einem gemeinsamen Gutachten gegen die Verlängerung der Laufzeiten für Atomkraftwerke aus.

Habeck sagte nach einer Sonderschalte der Energieminister der Länder zudem, dass man auch am Kohleausstieg festhalte. “Wir werden allerdings alle Kohlekraftwerke, die vom Netz gehen, in der Reserve halten.” Der Grünen-Politiker sowie Finanzminister Christian Lindner (FDP) bremsten Forderungen der Opposition, dass es angesichts stark steigender Benzinpreise steuerliche Entlastungen geben müsse.

Zuvor hatten Äußerungen aus Russland und den USA die Debatte über Versorgungssicherheit und Energie-Preise in Deutschland angeheizt. Habeck lehnte am Dienstag wie zuvor Kanzler Olaf Scholz einen europäischen Importstopp für russisches Gas und Öl ab. Man habe Sanktionen verabredet, die Russland wegen der Invasion in der Ukraine hart treffen sollten, aber auch jahrelang durchhaltbar sein sollten. Nur habe sich Deutschland in den vergangenen Jahren immer mehr in eine Energieabhängigkeit von Russland hineinmanövriert, was man schleunigst wieder korrigieren müsse. Dies dauere aber, man müsse in dieser Zeit eine “Unterversorgung” vermeiden. Dennoch gab sich Habeck entspannt, dass man auch auf einen Stopp russischer Öl-, Gas- oder Kohlelieferungen vorbereitet sei.

Niedersachsens Energieminister Olaf Lies (SPD), der die Sonderschalte organisiert hatte, betonte, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien stark beschleunigt werden müsse. Nur so könne man sich von der Abhängigkeit von Importen lösen.

VOTUM GEGEN LÄNGERE LAUFZEIT VON ATOMMEILERN

Das Wirtschafts- und das Umweltministerium sprachen sich gegen eine Laufzeitverlängerung der drei noch produzierenden Atomkraftwerke aus. Nach einer Abwägung von Nutzen und Risiken sei dies auch angesichts “der aktuellen Gaskrise” nicht zu empfehlen. Es müsse jetzt darum gehen, die Energieversorgung auf robustere Säulen zu stellen und die Importabhängigkeit von Russland zu reduzieren sowie den Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben, hieß es in einer gemeinsamen Stellungnahme.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte sich zuvor bereits auf RTL/ntv gegen eine Verlängerung ausgesprochen. “In dieser Abwägung haben wir eine minimale Mehrproduktion an Strom für maximal hohe Sicherheitsrisiken”, sagte er. “Und deswegen bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass dieser Weg der falsche ist.” Habeck hatte vor einigen Tagen einen Weiterbetrieb der drei Meiler über den 31. Dezember hinaus nicht grundsätzlich ausgeschlossen und eine Prüfung angekündigt. Eine Verlängerung der Laufzeiten wäre vor allem für die Grünen als Anti-Atompartei politisch heikel. Am Montagabend hatte die russische Regierung erstmals mit der Einstellung von Gaslieferungen und mit stark steigenden Energiepreisen gedroht.

HABECK LÄSST ZUSATZBESTEUERUNG BEI ENERGIEFIRMEN PRÜFEN

Auch Habeck sagte bei RTL/ntv, dass die Preise durch den Krieg, Spekulation an den Börsen und die Diskussion um mögliche Energiesanktionen befeuert würden. Es steige die Gefahr einer schweren Rezession durch die hohen Preise. Auch sehr hohe Benzinpreise seien nicht ausgeschlossen. Am Nachmittag fügte er hinzu, man werde prüfen, ob man Gewinne von Energieunternehmen, die etwa Gas sehr billig eingekauft hätten und nun sehr teuer verkaufen würden, nicht zusätzlich besteuern könne.

Die Ministerpräsidenten von Bayern und Sachsen, Markus Söder und Michael Kretschmer, warnten mit Blick auf die Versorgungssicherheit und die Energiepreise vor einem Embargo der russischen Gaslieferungen. “Natürlich drängen Länder, die nicht so abhängig von der Rohstoffversorgung sind, auch auf dieses Instrument der Blockade. Das wäre aus meiner Sicht zu viel”, sagte Kretschmer im Deutschlandfunk. CSU-Chef Söder sagte RTL/ntv, dass die Bundesregierung für Versorgungssicherheit sorgen müsse. Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) forderte auf Twitter, dass die Bundesregierung die Steuern auf den Benzinpreis senken sollte. Der Staat “bereichere” sich. Hintergrund ist, dass etwa Einnahmen aus der Mehrwertsteuer automatisch steigen, wenn sich der Preis erhöht. Unionspolitiker hatten deshalb Forderungen etwa nach der Absenkung der Mehrwertsteuer erhoben.

Habeck reagierte zurückhaltend. Zum einen bereichere sich der Staat nicht und würde gerne auf die durch die Krise verursachten höheren Einnahmen verzichten, die nun aber auch in Klimaschutzmaßnahmen flössen. Zum anderen könne man über weitere Entlastungsschritte nachdenken, wenn die Preis dauerhaft hoch bleibe. Finanzminister Lindner verwies in Düsseldorf auf das bereits von der Ampel-Koalition beschlossene Entlastungspaket über 15 Milliarden Euro. Steigende Energiepreise durch höhere Preise für Energieimporte könnten nicht insgesamt vom Staat kompensiert werden. “Die Bundesregierung schließt weitere Maßnahmen allerdings nicht aus, wenn sich daran etwas ändern sollte”, fügte Lindner hinzu.

tagreuters.com2022binary_LYNXMPEI270W3-VIEWIMAGE