Signal der Unterstützung – Drei EU-Regierungschefs besuchen Kiew

– von Pavel Polityuk und Natalia Zinets und Olimpiu und Gheorgiu

Kiew/Lwiw/Berlin (Reuters) – Trotz eines drohenden russischen Angriffs auf Kiew sind die Regierungschefs von Polen, Tschechen und Slowenien am Dienstag demonstrativ in die ukrainische Hauptstadt gereist.

“Es ist unser Pflicht dort zu sein, wo Geschichte gefälscht werden soll”, sagte der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der zusammen mit dem tschechischen Kollegen Petr Fiala und seinem slowenischen Kollegen Janez Jansa in die Ukraine reiste. Während es Unklarheit gab, ob die Reise mit der EU oder den Regierungen anderer EU-Staaten abgestimmt war, begrüßten die Fraktionschef von SPD und Union die Reise des Trios als wichtiges Signal der Solidarität mit der Ukraine. “Ich finde es sehr mutig, und es könnte durchaus ein Vorbild für andere sein”, sagte CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz.

Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut zu einer sofortigen Waffenruhe aufgefordert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj deutete in einer Videobotschaft an, dass seine Regierung bei den Verhandlungen mit Russland bereit sein könnte, auf eine Nato-Mitgliedschaft zu verzichten, wenn die Ukraine umfassende Sicherheitsgarantien erhalte. Am Dienstag wurden die Vermittlungsgespräche zwischen russischen und ukrainischen Delegationen über eine Videoverbindung wieder aufgenommen, nachdem sie am Montag unterbrochen worden waren. Ziel ist es, eine Waffenruhe zu erreichen. Der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow, sagte, es sei zu früh, um Fortschritte vorherzusagen.

SELENSKYJ-BERATER: KRIEG IST AM SCHEIDEWEG

Aus mehreren ukrainische Städten hatte es zuvor Berichte über neue russische Raketenangriffe gegeben. Der am 24. Februar mit der russischen Invasion begonnene Krieg stehe an einem Scheideweg, sagte ein Berater Selenskyjs. Entweder werde man nun verhandeln können oder aber Russland werde zu einer zweiten Offensive ansetzen, sagte Olexij Arestowitsch. In der Nacht zu Dienstag wurde Beschuss auch auf Kiew gemeldet. Vor Sonnenaufgang soll es zwei Explosionen gegeben haben. Hilfskräfte sprachen von vier Toten. Bürgermeister Vitali Klitschko verkündete eine nächtliche Ausgangssperre.

Laut der Regierung in Kiew gab es erneut Probleme bei der Lieferung von Hilfsgütern in die eingekesselte südostukrainische Stadt Mariupol. Ein Versorgungskonvoi stecke im nahe gelegenen Berdjanks fest, erklärte Vize-Ministerpräsidentin Iryna Wereschtschuk. Dem Stadtrat von Mariupol zufolge konnten bis zum Mittag rund 2000 Autos die Hafenstadt verlassen. Weitere 2000 Fahrzeuge stünden zur Abfahrt bereit, teilte der Stadtrat im Internet mit.

In Mariupol sollen nach ukrainischen Angaben mittlerweile mehr als 2500 Zivilisten getötet worden sein. Die Stadt gilt als entscheidend für einen russischen Versuch, einen Landkorridor von Russland bis zur annektierten ukrainischen Halbinsel Krim herzustellen. Wereschtschuk kündigte an, dass man Hilfskorridore zu insgesamt neun angegriffenen ukrainischen Städten organisieren wolle. Das ukrainische Parlament verabschiedete ein Gesetz zur Verlängerung des Kriegsrechts. Er soll nun über den 26. März hinaus um 30 Tage verlängert werden.

Die russische Invasion ist der größte Angriff auf einen europäischen Staat seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Ukraine und der Westen sprechen von einem Angriffskrieg von Russlands Präsident Wladimir Putin. Russland bezeichnet sein Vorgehen dagegen als “Sondereinsatz”, der nicht darauf abziele, ein Territorium zu besetzen, sondern die militärischen Kapazitäten des Nachbarn zu zerstören und als gefährlich eingestufte Nationalisten zu fassen.

Es sollen bereits Zehntausende Soldaten und Zivilisten gestorben sein. Nach Angaben von Selenskyj vor dem kanadischen Parlament sollen in dem Krieg bereits fast hundert Kinder durch russischen Beschuss getötet worden sein. Die Angaben konnten nicht überprüft werden. In der Ukraine sei ein Kameramann des US-Senders Fox News getötet worden sein, twitterte ein Moderator des Senders.

China als enger Verbündeter Russlands hat die Invasion bisher nicht kritisiert. Die Führung in Peking beschuldigte die USA der Desinformation, nachdem unter Berufung auf US-Regierungskreise am Montag berichtet worden war, dass Russland China um Militärhilfe in der Ukraine gebeten habe. Die US-Regierung warnte Peking ihrerseits vor einer solchen Hilfe.

Während die EU am Dienstag formal ihr viertes Sanktionspaket beschloss und nun auch Investitionen in den russischen Energiesektor verbot, untersagte Russland seinerseits zahlreichen US-Politiker die Einreise, darunter Präsident Joe Biden und Außenminister Antony Blinken. Kurz zuvor hatte das US-Finanzministerium Sanktionen gegen mehrere russische Staatsbürger verhängt, denen es schwere Menschenrechtsverletzungen vorwarf. Die Strafmaßnahmen gegen den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko wurden ausgeweitet.

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