Frankfurt (Reuters) – Die EZB sollte laut Bundesbank-Präsident Joachim Nagel trotz des Ukraine-Kriegs den Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik nicht hinauszögern.
Bislang hätten viele die Sorge gehabt, dass die Geldpolitik den Aufschwung abwürgen könnte, wenn sie zu früh handele, sagte Nagel am Montag in einer Rede zum Amtswechsel in der Bundesbank-Hauptverwaltung in Bremen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Mittlerweile sei das aber Risiko größer geworden, zu spät zu handeln. “Bei aller Vorsicht angesichts der außergewöhnlichen Unsicherheit: Verschleppen sollten wir den Ausstieg aus der sehr lockeren Geldpolitik nicht”, warnte er. Sonst müssten die Zinsen später möglicherweise um so schneller oder höher steigen. Ein abrupter Zinsanstieg aber würde Firmen und Haushalte stärker belasten und könnte starke Börsenturbulenzen auslösen.
Für den Bundesbank-Präsidenten gilt dabei nach wie vor: Vor einer Zinsanhebung werden erst die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) beendet. Dann sei eine Erhöhung der Leitzinsen – es wäre die erste seit 2011 – noch in diesem Jahr denkbar. “Sofern die Nettokäufe wie derzeit vorgesehen im dritten Quartal enden, eröffnet das die Möglichkeit, bei Bedarf die Leitzinsen noch in diesem Jahr anzuheben”, sagte Nagel. Der Schlüsselsatz zur Versorgung der Geldhäuser mit Geld liegt im Euro-Raum schon seit 2016 auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Zudem müssen Banken Strafzinsen zahlen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken. Der sogenannte Einlagensatz liegt aktuell bei minus 0,5 Prozent.
Die Unsicherheit beim Inflationsausblick ist Nagel zufolge gegenwärtig ausgesprochen hoch. “Und sie hat durch den Krieg in der Ukraine deutlich zugenommen”, sagt er. Die EZB müsse dafür sorgen, dass sich der starke Preisauftrieb nicht verfestigt und nicht mittelfristig zu einer überhöhten Inflation führe. Zweitrundeneffekte seien ein zentrales Risiko. So sei im Euro-Raum die die Arbeitslosenquote auf einen historisch niedrigen Stand gesunken und der Mangel an Fachkräften nehme zu. “Dies könnte die Lohndynamik verstärken.” Außerdem könnten Zweitrundeneffekte dadurch entstehen, dass die aktuelle Teuerungswelle die Inflationserwartungen steigen lasse.
Die Inflation war im Februar im Euro-Raum angesichts explodierender Energiepreise auf ein Rekordhoch von 5,9 Prozent geschnellt. Sie liegt damit annähernd drei Mal so hoch wie das Ziel der EZB von zwei Prozent, das sie als Idealwert für die Wirtschaft anstrebt. Schon im Januar lag die Inflation bei 5,1 Prozent. “Wir müssen meines Erachtens sehr auf der Hut sein vor Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität auf mittlere Sicht”, warnte Nagel. Die EZB müsse sich daher alle geldpolitischen Optionen offen halten, um nötigenfalls schnell reagieren zu können.