Union sieht Lindner mit Haushaltstricks auf Weg zu Rekordverschuldung

– von Christian Krämer und Holger Hansen

Berlin (Reuters) – Die Bundesregierung steuert nach Einschätzung der Union auf eine Rekordverschuldung von 250 Milliarden Euro in diesem Jahr zu.

CDU/CSU warfen Finanzminister Christian Lindner am Dienstag zu Beginn der Haushaltswoche im Bundestag vor, die Schuldenbremse mit Tricks zu umgehen und nicht richtig zu verteidigen. FDP-Chef Lindner rechtfertigte die bislang geplante Neuverschuldung von rund 200 Milliarden Euro mit den Folgen der Coronavirus-Pandemie und der notwendigen Modernisierung der Bundeswehr. Hinzu werden aber noch Belastungen durch den Krieg in der Ukraine kommen, die Lindner noch nicht abschätzen kann.

“In der Krise muss der Staat handeln”, sagte Lindner. Ziel der Regierung sei es aber, die Finanzen wieder zu normalisieren und Puffer aufzubauen. 2023 sowie in den Jahren bis 2026 solle die Schuldenbremse wieder eingehalten werden. Das sei auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Die Schuldenbremse ist seit 2020 wegen der Pandemie ausgesetzt. In diesem Jahr will die Regierung die erneute Ausnahme von der im Grundgesetz verankerten Regel auch mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine begründen.

Lindner kündigte einen baldigen Ergänzungshaushalt an. Dieser solle ausschließlich Maßnahmen beinhalten, die im Zusammenhang mit dem Krieg stünden. Dazu zählten Entlastungen für Bürger und Wirtschaft im Zuge der sprunghaft gestiegenen Energiepreise wie auch Hilfen für Flüchtlinge innerhalb und außerhalb Deutschlands. CDU-Haushaltspolitiker Christian Haase schätzt dies auf rund 50 Milliarden Euro, wodurch die Gesamtverschuldung dann bei etwa 250 Milliarden liegen dürfte. “Man müsste knallhart priorisieren.” Das geschehe aber nicht. 2021 hatte der Bund bereits gut 215 Milliarden Euro an neuen Schulden aufgenommen.

Bisher sieht Lindners Haushaltsentwurf, für 2022 der nun im Bundestag beraten und Anfang Juni verabschiedet werden soll, 99,7 Milliarden Euro an neuen Schulden im Kernhaushalt sowie einen Sonderfonds von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr vor. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einem Haushalts-Rätsel, weil der Ergänzungsetat noch keinen Inhalt habe.

UNION DROHT MIT BLOCKADE BEI BUNDESWEHR-SONDERFONDS

Offen ist noch, ob die Union die Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP bei der Verankerung des Bundeswehr-Sondervermögens im Grundgesetz unterstützt. Dafür reichen die Stimmen der Ampel-Koalition nicht aus. Mit dem Schritt soll abgesichert werden, dass die Mittel nicht zweckentfremdet werden. Dobrindt sagte, es gebe diese Woche Gespräche darüber. Die 100 Milliarden Euro müssten ausschließlich für die Bundeswehr zur Verfügung stehen: “Für nichts anderes werden wir die Hand reichen.” Teilweise wird befürchtet, dass die Gelder an Partner außerhalb der EU fließen könnten.

Dobrindt kritisierte zudem, dass nicht festgeschrieben sei, wie die Sonderschulden zurückgezahlt werden sollten. “Das wird unsere Zustimmung nicht haben. Schuldentilgung ist ein Teil von solider Haushaltspolitik.” Das Nato-Ziel, mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben, finde sich zudem nicht im Haushaltsentwurf wieder. Der Verteidigungsetat wachse nicht, sondern bleibe auf Jahre gleich. Inflationsbereinigt sinke er also.

Die Linken kritisierten dagegen ein neues Wettrüsten. Die Grünen betonten in der Haushaltsdebatte, es brauche ein starkes Controlling, damit die Mittel nicht versickerten. Die AfD bemängelte, der Krieg werde als Ausrede für neue Schulden genutzt.

Lindner versprach, die Regierung werde alles tun, um eine Stagflation zu vermeiden. “Die Preise würden steigen, aber die Wirtschaft nicht wachsen.” Die Regierung dürfe sich nicht auf die Europäische Zentralbank (EZB) verlassen, Wachstum durch Mini-Zinsen anzuschieben. Zur Entlastung von Bürgern und Firmen habe sie bereits ein 16 Milliarden Euro schweres Paket geschnürt, so Lindner. “Weitere Entlastungen werden kommen.” Sie müssten schnell und genau wirken, zeitlich befristet sowie europäisch abgestimmt sein. Lindner deutete weitere Hilfen für ärmere Bevölkerungsschichten an, begleitet von Maßnahmen zur Energieeffizienz und Entlastungen bei der Mobilität.

DIHK-Präsident Peter Adrian sagte, wichtig werde erneut das Kurzarbeitergeld in den nächsten Monaten sein. “Außerdem haben sich Bürgschaftsprogramme bewährt. In energieintensiven Bereichen, die jetzt besonders stark betroffen sind, werden auch Hilfen mit Eigenkapital nötig sein.”

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