– von Oleksandr Kozhukhar
Lwiw (Reuters) – Nach wochenlangen Angriffen durch russische Truppen scheint der ukrainische Widerstand in der belagerten südostukrainischen Stadt Mariupol zu wanken.
Laut russischem Verteidigungsministerium ergaben sich 1026 ukrainische Soldaten, darunter 162 Offiziere. Von ukrainischer Seite wurde dies zunächst nicht bestätigt. In der Hafenstadt mit einst 400.000 Einwohnern warteten nach Angaben von Bürgermeister Vadym Boischenko immer noch 100.000 Menschen auf eine Evakuierung. Seit Tagen wird versucht, Hilfskonvois zu organisieren.
Russland hatte die Stadt mit anhaltenden Angriffen in Schutt und Asche gebombt. EU-Sicherheitsexperten halten es für unwahrscheinlich, dass es der ukrainischen Armee gelingen könnte, den russischen Belagerungsring um die eingeschlossene Stadt zu durchbrechen. Vor allem aus dem Osten der Ukraine wurden auch am Mittwoch wieder Angriffe der russischen Truppen gemeldet, die am 24. Februar in das Nachbarland einmarschiert waren.
Die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin sagte am in Stockholm, dass das finnische Parlament kommende Woche über eine Nato-Mitgliedschaft des bisher neutralen EU-Landes debattieren werde. Eine Entscheidung werde in den kommenden Wochen fallen. Auch die schwedische Regierung will eine rasche Prüfung eines Nato-Beitritts, kündigte Ministerpräsidentin Magdalena Andersson an.
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Dienstag angekündigt, dass Russland seine Angriffe in der Ukraine fortsetzen werde, bis die militärischen Ziele erreicht seien. Das ukrainische Verteidigungsministerium warnte am Mittwoch, dass Russland trotz der zahllosen Raketenangriffe noch über ein riesiges militärisches Reservoir verfüge. Zudem steige die Gefahr, dass Russland auch chemische Waffen einsetze. Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland vor, auch Phosporbomben eingesetzt zu haben. Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben zunächst nicht.
US-Präsident Joe Biden bezeichnete den Krieg in der Ukraine zum ersten Mal als Völkermord. “Ja, ich habe es Völkermord genannt, denn es wird immer deutlicher, dass Putin versucht, Ukrainer auszulöschen, und die Beweise häufen sich”, sagte Biden nach einer Rede im US-Bundesstaat Iowa zu Reportern. Biden hatte den russischen Präsidenten Wladimir Putin zuvor wiederholt als Kriegsverbrecher tituliert. Hintergrund sind die sich häufenden Berichte über den Fund von Massengräbern und Erschießungen von Zivilisten in den von russischen Truppen geräumten Gebieten in der Ukraine sowie die Bombardierung von Wohngebieten. Russland weist Vorwürfe zurück, gezielt gegen Zivilisten vorzugehen.
VIER PRÄSIDENTEN AUS EU-LÄNDERN REISEN NACH KIEW
Der polnische Präsident Andrzej Duda reiste am Mittwoch in die ukrainische Hauptstadt Kiew, um Präsident Wolodymyr Selenskyj zu treffen. Duda werde von den Staatsoberhäuptern Estlands, Lettlands und Litauens begleitet, teilte der Berater Dudas, Jakub Kumoch, auf Twitter mit. “Unsere Länder zeigen auf diese Weise ihre Unterstützung für die Ukraine und Präsident Selenskyj.” Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte sich der Reise anschließen wollen, allerdings lehnte die Ukraine seine Visite ab. Die Bundesregierung reagierte auf die Absage verwundert, Steinmeier zeigte sich enttäuscht.
In der Nacht waren die Vorsitzenden des Außen-, Europa- und Verteidigungsausschusses im Bundestag von einem Treffen mit ukrainischen Parlamentarierinnen aus der Westukraine zurückgekehrt. Michael Roth (SPD), Anton Hofreiter (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) forderten gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine sowie ein “schnellstmögliches” Ölembargo gegen Russland. Hofreiter pochte auch auf einen schnelleren Stopp der Kohleimporte aus Russland. “Ansonsten finanzieren wir Putins Kriegsmaschine immer weiter”, sagte er.
Russland war am 24. Februar mit Truppen in das Nachbarland einmarschiert. Westliche Staaten und die Ukraine bezeichnen die russische Invasion als nicht provozierten Angriffskrieg. Russland spricht dagegen von einer Spezialoperation. Mehr als vier Millionen Menschen sind inzwischen ins Ausland geflohen. Zehntausende Menschen wurden getötet oder verletzt. Ein Viertel der ukrainischen Bevölkerung wurde durch massiven russischen Beschuss von Städten obdachlos.