Wirtschaft steckt Ukraine-Schock weg – Rezessionsängste nicht gebannt

– von Reinhard Becker und Klaus Lauer und Holger Hansen

Berlin (Reuters) – Trotz Rezessionssorgen an den Börsen hat sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft nach dem Ukraine-Schock wieder etwas gefangen.

Das Geschäftsklima hellte sich im April überraschend auf. Das Barometer stieg um einen Punkt auf 91,8 Zähler, wie das Münchner Ifo-Institut am Montag zu seiner monatlichen Führungskräfte-Umfrage mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten mit einer leichten Eintrübung gerechnet. Nach dem Stimmungseinbruch vom März zeige sich die Wirtschaft nun “widerstandsfähig”, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Doch die Sorgen um eine wirtschaftliche Talfahrt sind damit nicht verflogen, warnen Experten.

“Die Geschäftserwartungen in der Industrie befinden sich nach wie vor auf Niveaus, bei denen es in der Vergangenheit zu Rezessionen gekommen war”, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Dazu passt, dass sich bei Investoren die Furcht vor einem Abschwung in den vergangenen Wochen sogar verstärkt hat: “Die Börsen belastet die Angst, dass die zur Bekämpfung der hartnäckigen Inflation notwendigen Zinserhöhungen den Konjunkturmotor, der erst durch die Corona-Pandemie und dann durch den Krieg in der Ukraine ins Stocken geraten ist, endgültig abwürgen”, sagte Anlagestratege Jürgen Molnar vom Brokerhaus RoboMarkets. “Es scheint jetzt nicht mehr die Frage, ob, sondern nur noch wie stark eine Rezession in Europa ausfallen wird.”

Ein weiterer Belastungsfaktor waren Corona-Lockdowns in Dutzenden chinesischen Städten. Die Folgen dieser Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie würden die deutsche Wirtschaft in den nächsten Monaten treffen, warnte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe: “Das wird die Lieferkettenprobleme der Industrie verschärfen und die Verfügbarkeit von Waren im Einzelhandel einschränken.”

BAU VOR “SCHWIERIGEM JAHR”

Im Verarbeitenden Gewerbe legte das Ifo-Barometer allerdings im April nach dem Absturz im Vormonat zunächst wieder zu. Im Dienstleistungssektor verbesserte sich das Geschäftsklima sogar merklich. Doch am Bau sackte das Barometer auf das niedrigste Niveau seit Mai 2010 ab. Die lange Jahre boomende Branche blickt nun skeptisch in die Zukunft. “Weniger als ein Viertel unserer Bauunternehmen erwarten 2022 noch höhere Umsätze, gut 40 Prozent hingegen niedrigere Umsätze als 2021”, erklärte Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe. “Uns steht ein schwieriges Jahr bevor.”

Chefökonom Alexander Krüger von der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe wertet den Anstieg des Ifo-Barometers nicht als Wendesignal: “Die Großwetterlage ist durch den Ukraine-Krieg nicht anders als vor einem Monat. Unternehmen bleiben deshalb schlecht gelaunt, gerade mit Blick nach vorn.” Dies sieht auch Commerzbank-Experte Krämer so: “Die Industrieproduktion dürfte im zweiten Quartal sinken.” Deshalb werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) trotz der Lockerung der Corona-Beschränkungen im zweiten Quartal wohl nur stagnieren.

Nach Einschätzung der Bundesbank trat die Wirtschaft bereits zu Jahresbeginn auf der Stelle. Für die am Freitag anstehenden Daten des Statistischen Bundesamtes zum BIP im ersten Quartal erwarten Experten ein Plus von 0,2 Prozent, nachdem die Wirtschaft Ende 2021 um 0,3 Prozent geschrumpft war.

Als Folge des Ukraine-Krieges geht die Bundesregierung für das laufende Jahr von einem deutlichen schwächeren Wachstum der deutschen Wirtschaft aus als noch am Jahresbeginn angenommen. Wie Reuters vorab erfuhr, rechnet die Regierung für 2022 nur noch mit einem Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 2,2 Prozent – 1,4 Prozentpunkte weniger als bisher.

SPRUNGHAFT STEIGENDE INFLATION

Zugleich stellt sich die Regierung in diesem Jahr auf eine sprunghaft steigende Inflation ein. Wie aus einem Reuters am Montag vorliegenden Dokument zur Frühjahresprognose hervorgeht, dürfte die Teuerungsrate bei 6,1 Prozent liegen – nach 3,1 Prozent im vorigen Jahr. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) legt die Projektion am Mittwoch vor.

Angesichts des hohen Inflationsdrucks steuert die Europäische Zentralbank Insidern zufolge auf eine baldige Zinserhöhung zu. Der erste Schritt könne bereits im Juli erfolgen, spätestens solle es im September so weit sein, erfuhr Reuters von Insidern.

Der Druck auf die Notenbank zu handeln ist zuletzt immer größer geworden. Denn infolge hochschießender Energiepreise ist die Teuerung im Euroraum im März auf 7,4 Prozent hochgeschnellt – und liegt deutlich über der Zielmarke der Währungshüter. Die EZB strebt 2,0 Prozent Inflation als optimales Niveau für die Wirtschaft im Euroraum an. In Deutschland lag die Inflationsrate zuletzt bei 7,3 Prozent. Für die am Freitag anstehenden April-Daten wird ein leicht niedrigerer Wert von 7,2 Prozent erwartet.

tagreuters.com2022binary_LYNXNPEI3O0AP-VIEWIMAGE