Krieg trifft deutschen E-Commerce – Wachstumsbranche schwächelt

Berlin (Reuters) – Die Ukraine-Krise und die trübe Kauflaune treffen den seit der Corona-Pandemie erfolgsverwöhnten Online-Handel in Deutschland.

Die Umsätze sanken zum Start ins zweite Quartal spürbar, wie am Donnerstag der Branchenverband bevh mitteilte, der zugleich seine Prognose für deutliches Wachstum 2022 einkassierte. “Auch der E-Commerce kann sich den Auswirkungen von Krieg, steigenden Preisen und verunsicherten Verbrauchern nicht entziehen.” Seit Kriegsbeginn in der Ukraine am 24. Februar verlor die Branche eine Milliarde Euro Umsatz. Die Erlöse im E-Commerce mit Waren fielen zudem von Anfang April bis Mitte Mai binnen Jahresfrist um 6,7 Prozent. Der Rückgang traf alle Warengruppen – außer Dingen des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Drogeriewaren und Tiernahrung. Dieser Bereich steigerte den Online-Umsatz trotz mauer Konsumstimmung um 4,1 Prozent.

Im zweiten Corona-Jahr 2021 hatte der Online-Handel in Deutschland massiv um 19 Prozent zugelegt. Im Januar hatte der bevh auch für 2022 noch ein Wachstum beim Brutto-Umsatz von Waren im E-Commerce um zwölf Prozent auf 111 Milliarden Euro prognostiziert. Diese Schätzung sei nun wegen des Ukraine-Kriegs nicht mehr zu halten, erklärte der bevh. Eine neue Prognose sei derzeit nicht möglich. “Wir sind in einer Kriegssituation – und einen Krieg, den kann man nicht kalkulieren”, sagte bevh-Expertin Christin Wehrstedt. Trotz des Einbruchs der vergangenen Wochen steht für den Zeitraum von Jahresanfang bis Mitte Mai bei den Warenumsätzen immer noch ein Plus von sechs Prozent zu Buche. Nimmt man Dienstleistungen hinzu, liegen die Erlöse immer noch gut neun Prozent über Vorjahr, da die Menschen dieses Jahr wieder mehr Veranstaltungen und Reisen über das Internet buchten.

NACHFRAGESCHOCK

“Wir sind in einem Nachfrageschock”, sagte Gerrit Heinemann, E-Commerce-Fachmann von der Hochschule Niederrhein. Dies sei ausgelöst durch die Unsicherheit wegen der Ukraine-Krise und der hohen Inflation. “Das zeigt, dass die Kunden alles andere als in Kauflaune sind.” Dies belaste den gesamten Einzelhandel – also Ladengeschäfte und Online-Unternehmen.

Reine Onlinehändler und -Marktplätze verlieren laut bevh derzeit zwar auch, zeigen sich aber robuster als der Gesamtmarkt. Multichannel-Händler, also stationäre Läden mit zusätzlichem Online-Angebot, hingegen schwächeln im elektronischen Handel deutlicher. “Gut möglich, dass diese aktuell einen Teil ihrer Online-Zuwächse abgeben, weil sie sich derzeit auf das stationäre Geschäft konzentrieren”, erklärte der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland (bevh).

Stärkste Verlierer in der ersten Hälfte des zweiten Quartals sind die Segmente Heimwerker und Blumen (minus 15,2 Prozent), Auto, Motorrad und Zubehör (minus 14,5 Prozent), Elektroartikel (minus 14,4 Prozent) und Heimcomputer samt Zubehör (minus 12,8 Prozent). Am besten behaupten konnten sich die Sparten Bürobedarf (plus 11 Prozent), Heimtextilien (plus 9,6 Prozent) und Tierbedarf (plus 8,6 Prozent).

Trotz jüngster Delle befürchtet die Branche kein grundlegend geändertes Verbraucherverhalten. Anfang 2022 habe die Kundenzufriedenheit einen Rekord erreicht, erklärte der bevh. Zudem würden es zwei Drittel der Onlineshopper als Einschränkung der Lebensqualität empfinden, nicht im Netz bestellen zu können.

(Bericht von Klaus Lauer; redigiert von Olaf Brenner Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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