Großbritannien vor größtem Bahnstreik seit Jahren – “Sommer der Unzufriedenheit”

Berlin (Reuters) – Großbritannien steht in dieser Woche der größte Bahnstreik seit 30 Jahren bevor.

Mehr als 50.000 Eisenbahner wollen am Dienstag, Donnerstag und Freitag für höhere Löhne und gegen Stellenstreichungen streiken. Das ist nach Ansicht der Gewerkschaften nur der Auftakt für einen möglichen “Sommer der Unzufriedenheit”, in dem auch Lehrer, Mediziner und sogar Anwälte in den Arbeitskampf treten werden. Nur etwa die Hälfte des britischen Schienennetzes dürfte an den Arbeitskampftagen in Betrieb sein. Der Verband UK Hospitality befürchtet einen wirtschaftlichen Schaden von mehr als einer Milliarde Pfund für die Tourismus-, Freizeit- und Gastgewerbebranche.

“Jeder Arbeitnehmer in Großbritannien verdient eine Lohnerhöhung, die die Krise der Lebenshaltungskosten widerspiegelt”, verteidigte die Gewerkschaft Rail, Maritime and Transport Workers (RMT) das Vorgehen. “Wir rufen zu gemeinsamen Kampagnen und koordinierten Aktionen auf, um einen besseren Abschluss für die Arbeitnehmer und eine gerechtere Gesellschaft zu erreichen.”

Die britische Wirtschaft hat sich zunächst gut von der Corona-Pandemie erholt. Eine Kombination aus Arbeitskräftemangel, gestörten Lieferketten, Inflation und Handelsstreitigkeiten nach dem Brexit kann Experten zufolge zu einer Rezession führen. “Die Inflation zerstört die Ersparnisse”, sagte Finanzstaatssekretär Simon Clarke, in dessen Zuständigkeitsbereich die Gehälter im öffentlichen Sektor fallen. “Sie zerstört das Wachstum. Sie schadet jeder Wirtschaft, in der sie endemisch wird. Wir müssen eine kollektive, gesamtgesellschaftliche Verantwortung übernehmen.” Die britische Inflationsrate erreichte im April ein 40-Jahres-Hoch von neun Prozent. Erwartet wird, dass im weiteren Jahresverlauf die Marke von zehn Prozent übertroffen werden dürfte.

Der Ausbruch von Arbeitskampfmaßnahmen hat Vergleiche mit den 1970er Jahren aufgeworfen. Damals gab es Großbritannien eine Serie von Streiks, die einschließlich in den “Winter der Unzufriedenheit” 1978/79 mündete. Tausende von Menschen nahmen bereits am Wochenende an einer von den Gewerkschaften organisierten Demonstration im Zentrum Londons teil.

Die Streiks finden zu einer Zeit statt, in der Reisende auf britischen Flughäfen aufgrund von Personalmangel Verspätungen und Annullierungen in letzter Minute hinnehmen müssen. Zudem müssen viele Briten aufgrund von Verzögerungen bei der Bearbeitung monatelang auf neue Pässe warten. Für Millionen von Menschen im ganzen Land, darunter Pendler, Touristen, Schüler, die an Prüfungen teilnehmen, und Besucher des Glastonbury-Festivals wird der Streik zu erheblichen Beeinträchtigungen führen.

(Bericht von Kylie MacLellan, geschrieben von Rene Wagner. Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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