Berlin (Reuters) – Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich gegen eine erneute Debatte über eine verlängerte Nutzung der Atomenergie ausgesprochen.
Es gebe eine ziemlich einheitliche Expertenmeinung, dass die Brennstäbe für die verbliebenen drei Atommeiler nur bis Ende des Jahres reichten, sagte der SPD-Politiker am Dienstag in Berlin. “Niemand hat vorgeschlagen, wie es geht”, fügte er mit Blick auf Forderungen auch aus der FDP hinzu, dass man die Atomkraftwerke länger laufen lassen sollte. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf der Ampel-Regierung dagegen vor, mit falschen Argumenten zu hantieren. Zu dem Einwand, dass man zum Weiterbetrieb russische Brennstäbe brauche, sagte er, dass die Beschaffung neuer Brennstäbe aus aller Welt offenbar für alle anderen westlichen Länder mit Atomkraftwerken kein Problem sei.
Zuvor waren die Regierungsparteien Grüne und FDP auf Konfrontationskurs bei der Frage gegangen, ob die Laufzeiten angesichts der Gas-Versorgungslage über das Jahresende hinaus verlängert werden sollten. Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann erteilte entsprechenden Forderungen aus der FDP eine Absage. “Aus meiner Sicht brauchen wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Scheindebatten über Atomenergie oder eine Renaissance der Atomenergie”, sagte sie. Für den geplanten Atomausstieg zahlten die Steuerzahler Milliardenbeträge. “Ein solches Manöver sollten wir uns nicht noch einmal leisten.”
Zuvor hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Johannes Vogel, konkrete Vorbereitungen gefordert, um die Gasversorgung in der kalten Jahreszeit zu sichern. “Wir brauchen ein Winterpaket”, sagte Vogel. Dazu sei auch eine Verlängerung der Laufzeiten der drei noch am Netz verbliebenen Atomkraftwerke erforderlich, “zumindest über diesen Winter”.
PRÜFVERMERK SIEHT KEINE ENTLASTUNG DURCH AKW-WEITERBETRIEB
Derzeit laufen in Deutschland noch drei Atomkraftwerke – die Reaktorblöcke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2. Sie gehen laut Atomgesetz am 31. Dezember 2022 vom Netz. Das Bundeswirtschafts- und das Bundesumweltministerium waren in einem Prüfvermerk Anfang März zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Weiterbetrieb der Akws nicht empfehlenswert sei. Dies wird unter anderem mit Kosten- und Sicherheitsaspekten begründet, aber auch damit, dass die Brennelemente in den Anlagen mit Blick auf das geplante Betriebsende weitgehend aufgebraucht seien. Die Beschaffung neuer Brennelemente benötige selbst bei einer Beschleunigung zwölf bis 15 Monate, schreiben beide Ministerien. Bei einer bloßen Streckung des Betriebs für einige Monate in das Jahr 2023 würde zudem unter dem Strich nicht mehr Strom produziert.
In der Union wird darauf verwiesen, dass zwei Ministerien geprüft hätten, die beide von Grünen geführt würden, die Atomenergie vehement ablehnen. Das Ergebnis habe also bereits zuvor festgestanden, heißt es dort. Scholz hatte sich im Interview mit dem “Münchner Merkur” scheinbar ein Türchen offen gelassen. Er sei aus vollem Herzen für den Atomausstieg, betonte er. “Gleichwohl: Wenn es problemlos möglich wäre, die Laufzeit um ein oder zwei Jahre zu verlängern, würde sich jetzt wohl kaum jemand dagegen stellen.” Scholz fügte aber hinzu: “Da das aber offenbar nicht möglich ist, halte ich mich mit der Frage nicht lange auf.”
(Bericht von Andreas Rinke und Holger Hansen, redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)