Kiew (Reuters) – Die russischen Truppen haben ihre Angriffe in der Ukraine in mehreren Landesteilen fortgesetzt.
Der Gouverneur der besonders umkämpften Ost-Region Donezk, Pawlo Kyrylenko, teilte am Donnerstag über den Kurznachrichtendienst Telegram mit, dass in der Stadt Torezk acht Menschen getötet worden seien. Vier weitere Menschen seien bei dem Beschuss einer Nahverkehrs-Haltestelle verletzt worden, darunter drei Kinder. Zudem seien drei Zivilisten in den Städten Bachmut, Marjinka und Schewtschenko getötet worden. Auch aus den Regionen Mykolajiw, Charkiw und Dnipropetrowsk wurden Angriffe gemeldet. Dabei seien zivile Infrastrukturen und Häuser beschädigt worden. Der ukrainische Generalstab sprach von erheblichen russischen Angriffen etwa mit Panzern und Raketenartillerie.
Der ukrainische Präsidentenberater Olexij Arestowytsch vermutet hinter den Angriffen auch ein taktisches Ablenkungsmanöver. “Es geht darum, uns in den nächsten Wochen in Charkiw, Donezk und Luhansk militärisch unter Druck zu setzen”, sagte er in einem Interview, das auf YouTube veröffentlicht wurde. Was im Osten passiere, sei aber nicht ausschlaggebend für den Ausgang des Krieges. Der Sinn der russischen Offensive im Osten sei es, die Ukraine zu zwingen, Truppen aus dem Gebiet abzuziehen, das wirklich eine Gefahr darstelle – Saporischschja im Süden der Ukraine. Auch aus der Großstadt am Dnepr wurde nächtlicher Beschuss gemeldet.
Die Ukraine hatte zuletzt erklärt, Russland bereite eine neue Offensive im Süden des Landes vor. Dazu soll auch der Aufbau einer Truppe für einen Angriff auf Krywyj Rih – die Heimatstadt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – gehören. Die von der Ukraine kontrollierte Stadt ist bekannt für ihre Stahlproduktion und liegt rund 50 Kilometer von der südlichen Frontlinie entfernt. Russland eroberte in der ersten Phase des Krieges weite Teile der Südukraine, die Ukraine startete dort zuletzt allerdings Gegenangriffe.
Diese anhaltenden Gegenangriffe setzen britischen Angaben zufolge den russischen Nachschub unter Druck. Dabei profitierten die ukrainischen Truppen von den vom Westen gelieferten Waffen, teilte das britische Militär auf Basis eines geheimdienstlichen Lageberichts auf Twitter mit. So versuchten die russischen Streitkräfte in der von ihnen besetzten Region Cherson wohl die strategisch wichtige Antonowskij-Brücke über den Fluss Dnepr und eine nahe gelegenen Eisenbahnbrücke mit Radarreflektoren vor weiteren Angriffen zu schützen. “Dies verdeutlicht die Bedrohung, die Russland durch die größere Reichweite und Präzision der vom Westen gelieferten Systeme empfindet”, so das britische Militär.
In Saporischschja liegt auch das größte Atomkraftwerk in Europa. Es ist von russischen Truppen besetzt. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) forderte nun Zugang zu der Anlage, um sie auf Gefahrenquellen zu überprüfen. “Wir haben einen brüchigen Kontakt über Datenfernübertragung oder Kommunikationssysteme”, sagte IAEA-Chef Rafael Grossi der Schweizer Zeitung “Tages-Anzeiger”. “Aber das funktioniert eben nicht jeden Tag, und wir können uns keine fehlerhafte Kommunikation mit der Anlage in sicherheitsrelevanten Bereichen erlauben.” Es gebe Hinweise, dass in der Anlage scharfe Munition gelagert werde und dass es Angriffe auf das Kraftwerk gebe. Grossi zufolge zeigten die Konfliktparteien derzeit keine Bereitschaft, sich auf eine Sicherheitszone um Atomkraftwerke und kerntechnische Anlagen zu einigen.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warf Russland mit dem Krieg in der Ukraine einen “Angriff auf die aktuelle Weltordnung” vor. “Es ist in unserem Interesse, dass diese Art von aggressiver Politik keinen Erfolg hat”, sagte Stoltenberg in einer Rede in seinem Heimatland Norwegen. Russland dürfe den Krieg in der Ukraine nicht gewinnen. Es handele sich um die gefährlichste Situation in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Stoltenberg bekräftigt die Verteidigungsentschlossenheit der Nato. Wenn der russische Präsident Wladimir Putin in ähnlicher Weise gegen ein Nato-Land vorgehe, werde das gesamte Bündnis reagieren.
(Bericht von Natalia Zinets, geschrieben von Christian Götz, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)