Berlin (Reuters) -Die Bundesregierung will Insidern zufolge die europäischen Schuldenregeln in erster Linie durchsetzbarer machen. Sie müssten klarer gefasst und auch überprüfbar sein statt unerreichbarer und auslegungsbedürftiger Ziele, sagte ein Regierungsvertreter am Freitag. Man wolle erreichen, die in der Coronavirus-Pandemie stark gestiegenen Defizite und Schuldenstände abzubauen sowie Puffer für künftige Krisen anzulegen. “Die Verschuldung kann nicht die Lösung aller Probleme sein.”
Hier habe es angesichts steigender Zinsen bereits eine Akzentverschiebung gegeben, so der Regierungsvertreter. Große Institutionen wie der Internationale Währungsfonds, die OECD oder die EU-Kommission empfählen allesamt eine Konsolidierung der Finanzen. Das mache es für Deutschland leichter, die Debatte über eine Reform der Schuldenregeln in Europa zu führen. Innerhalb der Haushalte der EU-Mitgliedsstaaten sollte es zudem einen stärkeren Fokus auf Investitionen geben, ohne jedoch die Konsolidierung zu gefährden.
Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hatte diese Woche eine nach seinen Angaben innerhalb der Ampel-Koalition abgestimmte Position vorgestellt. Die EU-Kommission will in den nächsten Monaten ausloten, ob eine Reform der Schuldenregeln gelingen kann, gegen die in der Vergangenheit immer wieder verstoßen wurde, ohne dass dies spürbare Konsequenzen gehabt hätte.
Die Regeln sehen Obergrenzen von drei Prozent der Wirtschaftsleistung bei der Neuverschuldung und 60 Prozent bei der Gesamtverschuldung vor. Momentan sind sie wegen der Pandemie aber noch ausgesetzt. Lindner will die Schuldenregeln im Kern erhalten, in den Details aber Änderungen durchsetzen. Er sieht vor allem bei der Umsetzung Handlungsbedarf. Lindner sprach sich dafür aus, dass EU-Mitglieder grundsätzlich nur ein jährliches strukturelles Defizit von 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung ausweisen oder sich diesem Ziel zumindest annähern sollten. “Mein Vorschlag zielt deshalb darauf, diese mittelfristigen Haushaltsziele verbindlich durchzusetzen.” Bei dem strukturellen Defizit werden Konjunkturschwankungen und Einmaleffekte herausgerechnet, Zinszahlungen dagegen berücksichtigt.
PAPIER – ZU HOHE SCHULDEN GEFÄHRDEN EURO-ZONE
Regierungskreisen zufolge heißt es in einem Positionspapier, Fiskalregeln seien weiterhin nötig, weil eine übermäßige Verschuldung die Stabilität der ganzen Euro-Zone gefährden könne. Investoren müssten Vertrauen in die Schuldentragfähigkeit jedes einzelnen Mitgliedsstaates haben. Bestimmte Ausgaben bei den Schuldenregeln auszunehmen, sei nicht vereinbar mit dem Kernziel der Vorgaben.
Handlungsbereitschaft signalisiert die Bundesregierung bei der sogenannten Zwanzigstel-Regel, die allerdings momentan nicht angewendet wird. Hier könne es im Einzelfall einen zu großen und unrealistischen Anpassungsbedarf geben. Der Vorgabe zufolge müssen Euro-Länder mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent eigentlich jedes Jahr ein Zwanzigstel der Differenz zwischen 60 Prozent und der tatsächlichen Quote abbauen. Das würde vor allem Griechenland und Italien hart treffen, die die höchsten Schuldenstände haben. Wenn der Abbaupfad zum mittelfristigen Haushaltsziel verbindlich werde, könnte auf die Zwanzigstel-Regel verzichtet werden, hatte Lindner diese Woche gesagt.
(Bericht von Christian Krämer, redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)