Britische Wirtschaft legt Rückwärtsgang ein – “Rezession rückt näher”

London (Reuters) – Die britische Wirtschaft ist im Frühjahr leicht geschrumpft.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging von April bis Juni zum Vorquartal um 0,1 Prozent zurück, wie das Statistikamt (ONS) am Freitag auf Basis vorläufiger Zahlen mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten ein Minus von 0,3 Prozent prognostiziert nach einem Plus von 0,8 Prozent zu Jahresbeginn. Im Juni schrumpfte die Wirtschaftsleistung zum Vormonat um 0,6 Prozent. Dabei spielte auch ein zusätzlicher Feiertag wegen des 70-jährigen Thronjubiläums von Königin Elizabeth II. eine Rolle.

Finanzminister Nadhim Zahawi wertete die BIP-Zahlen als Zeichen der Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft. Doch die Notenbank in London erwartet, dass das Land Ende des Jahres in eine Rezession abgleitet, die das gesamte nächste Jahr anhalten dürfte. Dies wäre die längste Schwächephase auf der Insel seit der Weltfinanzkrise.

Auch Suren Thiru vom Rechnungslegungsverband Institute of Chartered Accountants in England and Wales (ICAEW) sieht die Aussichten düster: “Eine Rezession rückt für das Vereinigte Königreich näher und das Schlimmste kommt noch.” Trotz dieser wenig rosigen Aussichten hatte die Bank of England (BoE) im Kampf gegen die hohe Inflation jüngst den Leitzins ungewöhnlich kräftig um einen halben Prozentpunkt auf 1,75 Prozent angehoben.

INFLATION NAGT AN KAUFKRAFT

Angetrieben von explodierenden Energiekosten und Lieferkettenproblemen waren die Verbraucherpreise in Großbritannien zuletzt auf eine Rate von 9,4 Prozent geklettert. Damit ist das Ende der Fahnenstange aber wohl noch nicht erreicht: “Die Bank of England erwartet, dass die Inflationsrate infolge der absehbaren Preisanpassungen der britischen Energieversorger im Schlussquartal auf über 13 Prozent emporschießen wird”, erläutert Ökonom Dirk Chlench von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW). Angesichts dieses Kaufkraftentzuges sowie der bremsenden Wirkung der gestiegenen Hypothekensätze dürfte die Leistung der britischen Wirtschaft zum Jahresende nach einer zwischenzeitlichen Erholung wieder ins Minus rutschen, so die Einschätzung des LBBW-Experten.

Um den Inflationsschub zu kompensieren, haben viele Verbraucher begonnen, ihre Ausgaben zu reduzieren – etwa für Auslandsreisen. Die Briten haben während der historischen Hitzewelle im Juli allerdings mehr Geld für Sommerkleidung, Lebensmittel für Picknicks und Klimaanlagen ausgegeben. Dem Einzelhandelsverband British Retail Consortium (BRC) zufolge wuchs der gesamte Umsatz seiner Mitglieder – hauptsächlich große Ketten und Supermärkte – um 2,3 Prozent zum Vorjahresmonat. In den drei Vormonaten waren die Einnahmen noch jeweils gesunken, wie der Verband jüngst mitteilte.

(Bericht von Andy Bruce, William James, Joice Alves, geschrieben von Reinhard Becker, redigiert von Elke Ahlswede.; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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