Neue Kämpfe im Südkaukasus – Armenien meldet Dutzende Tote

Tiflis (Reuters) – Der jahrzehntelange Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien ist wieder in Gewalt umgeschlagen.

Beide Nachbarstaaten gaben sich gegenseitig die Schuld am Wiederaufflammen der Kämpfe im Grenzgebiet in der Nacht zum Dienstag. Armenien teilte mit, mindestens 49 seiner Soldaten seien getötet worden. Aserbaidschan nannte keine konkreten Opferzahlen, räumte aber ebenfalls “personelle Verluste” ein. Der einflussreiche Armenien-Verbündete Russland, der derzeit einen Krieg in der Ukraine führt, zeigte sich besorgt und forderte wie die USA und die EU einen sofortigen Stopp der Kampfhandlungen. Frankreichs Präsidialamt kündigte an, die Kämpfe zum Thema im UN-Sicherheitsrat zu machen.

Armeniens Verteidigungsministerium warf laut russischen Nachrichtenagenturen Aserbaidschan eine “großangelegte Provokation” vor, auf die man entsprechend reagiert habe. Aserbaidschans Verteidigungsministerium erklärte wiederum, mehrere Stellungen seiner Streitkräfte seien von der armenischen Armee beschossen worden.

Das Außenministerium in Moskau erklärte, es habe eine Feuerpause vermittelt, die seit dem Vormittag gelte und einzuhalten sei. Doch nach aserbaidschanischen Angaben wurde gegen die Vereinbarung nur 15 Minuten nach Inkrafttreten wieder verstoßen. Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinjan sagte russischen Medienberichten zufolge im Parlament, die Kämpfe würden zwar mittlerweile weniger intensiv ausgefochten, sie hielten aber in einigen Gegenden noch an.

STREIT UM BERGKARABACH

Paschinjan sagte, Aserbaidschan habe armenische Ortschaften angegriffen, weil es nicht über den Status von Bergkarabach verhandeln wolle. Die beiden ehemaligen Sowjetrepubliken streiten seit Jahrzehnten um das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Kaukasusgebiet. Völkerrechtlich gehört es zu Aserbaidschan, von dem es sich aber 1991 losgesagt hatte. Der Konflikt war 2020 in einem Krieg eskaliert, der nach sechs Wochen mit einer von Russland vermittelten Waffenruhe beendet wurde. Als Teil der Vereinbarung schickte Moskau anschließend Tausende Soldaten in die Region, um den Frieden zu überwachen.

Der erneute Ausbruch der Kämpfe schürte Sorgen, dass auf dem einstigen Gebiet der früheren Sowjetunion nach der Ukraine ein weiterer Krieg ausbrechen könnte. Russland ist im Südkaukasus einer der zentralen Machtfaktoren. Es unterhält in Armenien eine Militärbasis. Das russische Außenministerium erklärte, die erhebliche Verschlechterung der Lage im armenisch-aserbaidschanischen Grenzgebiet sei extrem besorgniserregend. Der Konflikt solle ausschließlich politisch und diplomatisch gelöst werden. Das Ministerium legte sich nicht fest, wer für die Eskalation verantwortlich zu machen sei. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow teilte mit, dass Präsident Wladimir Putin sämtliche Bemühungen unternehme, um dazu beizutragen, dass sich die Lage an der Grenze wieder beruhige. “Diese Bemühungen dauern an.”

Die Türkei, die zu den Unterstützern Aserbaidschans zählt, forderte Armenien dazu auf, Provokationen zu unterlassen. US-Außenminister Antony Blinken unterstrich, es gebe für den Konflikt keine militärische Lösung. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte nach armenischen Angaben in einem Telefonat mit Paschinjan, die Europäischen Union sei bereit, sich darum zu bemühen, eine weitere Eskalation zu verhindern.

(Reuters-Büros, geschrieben von Christian Rüttger, redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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