Amman (Reuters) – Im wieder aufgeflammten Bürgerkrieg in Syrien sind die Rebellen wenige Tage nach der Einnahme von Aleppo in eine weitere strategisch wichtige Stadt eingerückt.
Auf ihrem Vorstoß nach Süden drangen sie am Donnerstag nach offenbar heftigen Kämpfen in Hama ein, der viertgrößten Stadt des Landes. Die Armee von Präsident Baschar al-Assad zog ihre Einheiten nach eigenen Angaben ab und verlegte sie auf Stellungen außerhalb von Hama, “um das Leben von Zivilisten zu schützen und Kämpfe in der Stadt zu verhindern”. Die Rebellen meldeten die Einnahme nordöstlicher Stadtteile und die Befreiung Hunderter Insassen aus einem Gefängnis. Ihr Kommandeur Hassan Abdul Ghani teilte über soziale Netzwerke mit, dass die Aufständischen auf mehreren Strecken in Richtung Zentrum vorrückten.
Der arabische TV-Sender Al-Dschasira zeigte Aufnahmen, auf denen nach seinen Angaben Rebellen im Inneren von Hama dabei zu sehen sind, wie sie auf Zivilisten treffen. Andere sind auf Motorrädern und mit Militärfahrzeugen unterwegs.
Die Armee hatte die Darstellungen vom Vordringen der Rebellen nach Hama hinein zunächst dementiert, schließlich aber den Abzug aus der Stadt eingeräumt. Am Mittwoch hatten Regierungstruppen mit Hilfe der russischen Luftwaffe einen ersten Vorstoß der Rebellen noch zurückgeschlagen. Beide Seiten berichteten danach von schweren Kämpfen in der Nacht. Die Rebellen hatten am Dienstag einen strategisch wichtigen Hügel vor Hama eingenommen und rückten am Mittwoch auf die östlichen und westlichen Flanken der Stadt vor.
SCHWERER SCHLAG GEGEN ASSAD UND SEINE UNTERSTÜTZER
Hama könnte den Rebellen die Möglichkeit für einen Vorstoß auf das etwa 50 Kilometer entfernte Homs eröffnen, die wichtigste Stadt in Zentralsyrien. Zudem ist der Abzug der Armee aus Hama ein schwerer symbolischer Schlag für Assad. Während des jahrelangen Bürgerkriegs war die Stadt stets unter Kontrolle der Regierung geblieben. Dass sie nun in die Hände der Rebellen fiel, dürfte nicht nur Schockwellen in die etwa 200 Kilometer weiter südlich liegende Hauptstadt Damaskus senden, sondern auch nach Moskau und Teheran, wo die wichtigsten Unterstützer Assads sitzen.
Die Rebellen hatten in der vergangenen Woche vom Norden aus eine Blitzoffensive gestartet und rasch die zweitgrößte syrische Stadt Aleppo erobert. Anschließend stießen sie weiter nach Süden vor. Die syrische Armee versucht sie seither aufzuhalten. Schützenhilfe bekommt sie vom russischen Militär und von Milizen, die vom Iran unterstützt werden.
Mächtigste Gruppe unter den Rebellen ist die islamistische Haiat Tahrir al-Scham, der ehemalige Al-Kaida-Ableger in Syrien. Ihr Anführer Abu Mohammed al-Golani hat zwar versprochen, die religiösen Minderheiten zu schützen, doch bestehen große Sorgen, ob sich die Aufständischen daran halten.
Der Überraschungsangriff der Rebellen ist der größte seit Jahren im syrischen Bürgerkrieg, in dem die Fronten seit 2020 weitgehend eingefroren waren. Der Iran und Russland hatten Assad geholfen, die Kontrolle über den größten Teil des Landes und alle größeren Städte zurückzugewinnen. Assad hatte die Massenproteste gegen ihn, die 2011 in einen Bürgerkrieg mündeten, vom Militär brutal niederschlagen lassen. UN-Experten sprechen von Kriegsverbrechen. Hunderttausende Menschen wurden in dem Konflikt getötet und viele Millionen vertrieben.
(Bericht von Suleiman Al-Khalidi, Maya Gebeily und Timour Azhar, geschrieben von Christian Rüttger, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)