Damaskus (Reuters) – Die neuen Machthaber in Syrien haben dem größten Handelsverband des Landes zufolge die Einführung einer freien Marktwirtschaft angekündigt.
“Es wird ein freies Marktsystem auf der Grundlage des Wettbewerbs werden”, sagte der Vorsitzende der Handelskammer von Damaskus, Bassel Hamwi, am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Diese Entscheidung würde eine deutliche Abkehr von der jahrzehntelangen korrupten staatlichen Steuerung darstellen. Hamwi äußerte sich einen Tag nach einem Treffen mit einer Regierungsdelegation unter Leitung des syrischen Übergangswirtschaftsministers Bassel Abdul Asis. Dieser und Regierungssprecher waren für eine Stellungnahme zunächst nicht erreichbar. Die neue Übergangsregierung trat am Dienstag zusammen.
Hamwi zufolge kündigte Asis an, mit der Abschaffung des als erdrückend empfundenen Zollsystems eine der Hauptforderungen von Händlern und Industriellen zu erfüllen. “Jeder, der sich bei den Kammern registriert, wird die Waren, die er auf den Markt bringen will, nach einem bestimmten System einführen können.” Er fügte hinzu, dass er ständig Anrufe von syrischen Geschäftsleuten im Ausland erhalte, die wissen wollten, wie die neue Regierung den Handel gestalten werde. Er ermutigte sie, in ihre Heimat zurückzukehren. Dabei verwies er auf den massiven Investitionsbedarf für den Wiederaufbau, die Industrie und den Dienstleistungssektor hin: “Sie werden den wichtigsten Beitrag zur Entwicklung Syriens leisten.”
Prominente syrische Geschäftsleute begrüßten die Ankündigung, dass die syrische Wirtschaft für Investitionen geöffnet werde. Diese seien für den Wiederaufbau nach dem 13-jährigen Bürgerkrieg entscheidend. Gleichzeitig äußerten sie jedoch Bedenken, ob die neue Regierung ihre Versprechen tatsächlich einhalten werde. “Die Menschen warten immer noch darauf, ob es eine offene Gesellschaft oder ein islamischer Staat sein wird”, sagte ein in Beirut ansässiger Geschäftsmann, der anonym bleiben wollte.
Syrien hatte in der Vergangenheit strenge Kontrollen für Importe und Exporte eingeführt. Ein undurchsichtiges System verlangte von Händlern, Einfuhrgenehmigungen einzuholen und syrische Pfund bei der Zentralbank gegen Dollar einzuzahlen, was oft zu Verzögerungen und Engpässen bei grundlegenden Gütern führte. Der eigenständige Handel mit Fremdwährungen konnte früher zu Gefängnisstrafen führen, ist jedoch seit dem Sturz von Präsident Baschar al-Assad in alltäglichen Transaktionen üblich geworden.
Die syrische Wirtschaft wurde durch westliche Sanktionen, die Zerstörung von Handels- und Industriestädten wie Aleppo und Homs während des Krieges sowie den Verlust von Deviseneinnahmen aus Ölexporten schwer getroffen. Der Schaden wird auf mehrere zehn Milliarden Dollar geschätzt. Vor Beginn der Proteste gegen Assads Herrschaft im März 2011 lag der Kurs des syrischen Pfundes bei etwa 50 zum Dollar. Derzeit liegt er bei über 15.000 und treibt die Inflation so stark an, dass viele Ladenbesitzer Schwierigkeiten haben, die Preise für ihre Waren festzulegen.
Die Stabilisierung und Öffnung der Wirtschaft wird von Ökonomen als entscheidend für die Förderung dringend benötigter neuer Investitionen und die mögliche Rückkehr von Millionen Syrern angesehen, darunter viele aus der gebildeten Mittelschicht, die vor dem Krieg geflohen waren. “Syrien hat eine große, gebildete und relativ wohlhabende Diaspora, die das Land wieder aufbauen will. Sie könnten jahrelang zweistellige Wachstumsraten haben”, sagte ein hochrangiger regionaler Finanzbeamter, der anonym bleiben wollte.
(Bericht von Timour Azhari, geschrieben von Patricia Weiß; Redigiert von Scot W. Stevenson; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)