– von Klaus Lauer und Rene Wagner
Berlin (Reuters) – Die deutsche Wirtschaft steckt so lange in der Rezession wie seit über 20 Jahren nicht mehr.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank 2024 um 0,2 Prozent und damit das zweite Mal in Folge, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Bereits 2023 war die Wirtschaftskraft um 0,3 Prozent geschrumpft. Zwei Minus-Jahre in Folge gab es seit Gründung der Bundesrepublik bisher erst einmal – 2002/03. “Konjunkturelle und strukturelle Belastungen standen im Jahr 2024 einer besseren wirtschaftlichen Entwicklung im Wege”, sagte Statistikamts-Präsidentin Ruth Brand. “Dazu zählen zunehmende Konkurrenz für die deutsche Exportwirtschaft auf wichtigen Absatzmärkten, hohe Energiekosten, ein nach wie vor erhöhtes Zinsniveau, aber auch unsichere wirtschaftliche Aussichten.”
Auch im Schlussquartal 2024 dürfte die Wirtschaftskraft um 0,1 Prozent gesunken sein, erklärte die Behörde. Für das laufende Jahr rechnen die meisten Ökonomen zudem bestenfalls nur mit leichtem Wachstum. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht davon aus, dass Europas größte Volkswirtschaft dabei so langsam wächst wie keine andere Industrienation. “Für 2025 erwarten wir faktisch eine Stagnation”, sagte Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer und bekräftigte die Prognose eines “Mini-Wachstums von 0,2 Prozent”.
KANN NEUE REGIERUNG KONJUNKTUR ANSCHIEBEN?
Spürbaren Rückenwind durch Impulse einer neuen Bundesregierung erwarten Volkswirte kaum. “Es ist fraglich, ob es nach der Bundestagswahl im Rahmen einer Koalitionsregierung zu einem echten Neustart in der Wirtschaftspolitik kommt”, sagte Krämer. Die Wirtschaftslobby macht schon seit Wochen Druck auf die Politik für Reformen. “Unsere Unternehmen wollen ihre Wettbewerbsfähigkeit wieder”, sagte Helena Melnikov, Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). “Sie werden erdrückt durch Kosten, Berichtspflichten, überlange Verfahren und vieles mehr.” Erste Rückmeldungen aus der DIHK-Konjunkturumfrage signalisierten, dass die Wirtschaftskraft auch 2025 schrumpfen könnte. “Uns drohen damit drei Jahre hintereinander ohne Wachstum”, warnte Melnikov. “Das hat es in der deutschen Nachkriegsgeschichte noch nie gegeben und zeigt die historische Herausforderung.”
Ausgebremst wurde die Konjunktur 2024 gleich von mehreren Seiten. Trotz steigender Reallöhne blieben die Deutschen – auch wegen zunehmender Sorge um den eigenen Job – mit Ausgaben zurückhaltend. Der private Konsum stieg nur um 0,3 Prozent.
INVESTITIONEN IN BAU UND MASCHINEN GESUNKEN
Auch die Baubranche kämpft mit schwacher Nachfrage, da für viele potenzielle Häuslebauer der Traum der eigenen vier Wände wegen hoher Finanzierungs- und Materialkosten platzte. Die Bauinvestitionen sanken um 3,5 Prozent, Investitionen etwa in Maschinen und Fahrzeuge fielen um 5,5 Prozent. Den Exporteuren macht das schwache China-Geschäft zu schaffen. Während die Einfuhren um 0,2 Prozent zulegten, sanken die Ausfuhren um 0,8 Prozent. “Mit den drohenden Zöllen in den USA hängt bereits das nächste Damoklesschwert über dem ohnehin schwächelnden Exportgeschäft”, erklärte Nils Jannsen vom Kieler IfW Institut.
Hinzu kommen politische Unsicherheiten – vom Ukraine-Krieg bis zu den haushaltspolitischen Turbulenzen in der Bundesregierung. Das Platzen der Ampel-Koalition sorgt für Neuwahlen am 23. Februar und so für Ungewissheit über den künftigen Kurs. “Eine spürbare konjunkturelle Erholung in Deutschland dürfte erst mit klaren Aussichten für die weiteren wirtschafts-, finanz- und geopolitischen Rahmenbedingungen einsetzen”, erklärte das Bundeswirtschaftsministerium. Derzeit dämpften hohe Unsicherheiten Nachfrage, Produktion, Investitionen und privaten Konsum.
“Schaut man auf die letzten 60 Jahre zurück, ist Deutschland auf dem Weg, in diesem Jahrzehnt so langsam wie nie zuvor zu wachsen”, bilanzierte der Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, Cyrus de la Rubia. “Von 2020 bis 2024 steht nur eine Expansion der Wirtschaftsleistung von rund einem halben Prozent zu Buche.” Es bleibe zu hoffen, dass die neue Regierung das Ruder herumreißen könne, sagte Chefvolkswirt Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. “Die Befreiung aus dem Stagnationsumfeld ist in jedem Fall ein mehrjähriger Prozess.”
Die Stimmung der Wirtschaft war zuletzt so schlecht wie seit der Corona-Krise nicht mehr, wie das Münchner Ifo-Institut bei seiner Dezember-Umfrage unter 9000 Führungskräften herausfand. “Die Schwäche der deutschen Wirtschaft ist chronisch geworden”, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Die maue Konjunktur dämpfte auch die öffentlichen Finanzen. Der Gesamtstaat verzeichnete 2024 eine höhere Neuverschuldung, hielt aber die EU-Vorgaben erneut ein. Die Ausgaben von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherung überstiegen laut Statistikamt die Einnahmen um 113 Milliarden Euro. Dies entspricht einem unveränderten Defizit von 2,6 Prozent des BIP.
(Mitarbeit von Chritian Krämer. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)