– von Holger Hansen
Berlin (Reuters) – Die neue Bundesregierung kann sich nach der Bundestagswahl mit einem unverhofften Finanzpolster von 10,7 Milliarden Euro an die schwierige Haushaltsaufstellung für 2025 machen. Eine Rücklage in dieser Höhe hinterlässt die geschäftsführende Bundesregierung aus SPD und Grünen, deren Koalition mit der FDP auch am Streit über den Haushalt zerbrochen war. Dies verlautete am Montag aus dem Finanzministerium unter dem SPD-Politiker Jörg Kukies. Union und FDP erklärten daraufhin mit Blick auf die Rücklage, dass die umstrittene zusätzliche Militärhilfe für die Ukraine von drei Milliarden Euro sofort beschlossen werden könne.
Statt die Rücklage im Haushalt 2024 wie geplant auf 500 Millionen Euro zu verringern, erhöhte der Bund die Nettokreditaufnahme stärker als geplant auf 33,3 Milliarden Euro. Dennoch wurde 2024 erstmals seit 2019 nach vier Ausnahmejahren die Schuldenbremse wieder eingehalten. Dies war möglich, weil die Wirtschaftskrise mit einer Rezession im zweiten Jahr in Folge den Spielraum für neue Schulden erhöhte.
KUKIES – “ABSCHLUSS SCHAFFT NICHT MEHR SPIELRAUM”
Trotz der hohen Rücklage warnte das Finanzministerium vor einer Ausgabenlockerung im laufenden Jahr. “Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass wir deswegen jetzt mehr Spielräume hätten”, sagte Kukies in Brüssel vor Beratungen der Euro-Gruppe. Die Etatplanung wird Aufgabe der neuen Bundesregierung sein, die nach der Wahl am 23. Februar und Koalitionsverhandlungen wohl frühestens im April oder Mai im Amt sein dürfte. Bis dahin greift eine vorläufige Haushaltsführung mit Ausgabendeckeln.
Für die Etatplanung der neuen Regierung ist die Rücklage eine große Erleichterung. Sie kann das Geld nutzen, muss es aber nicht, sondern kann die Reserven auch erst 2026 verwenden. Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte das Loch in den Etatplanungen für 2025 zuletzt auf 26 Milliarden Euro beziffert. Kukies sprach nun unter Berücksichtigung der Rücklage von 16 Milliarden Euro. Seit dem Bruch der Ampel hat sich die Lücke demnach vergrößert. Dies geht nach Angaben aus der Regierung darauf zurück, dass die Einnahmen aus der Lkw-Maut und der Zuschussbedarf für die Förderung von Ökostrom pessimistischer eingeschätzt werden.
Je nach Zusammensetzung wird die neue Regierung die Prioritäten bei Ausgaben und Einsparungen ohnehin neu planen. Neben der Rücklage von 10,7 Milliarden Euro im Kernhaushalt kann die neue Regierung auch noch auf Restmittel im Klima- und Transformationsfonds (KTF) zurückgreifen, die sich laut Regierungskreisen auf etwa sechs Milliarden Euro summierten. In das KTF-Sondervermögen fließen jedes Jahr zweistellige Milliarden-Einnahmen durch die CO2-Bepreisung.
Die haushaltspolitischen Sprecher von Union und FDP, Christian Haase und Otto Fricke, drängten nun auf rasche zusätzliche Ukraine-Hilfen ohne weitere Neuverschuldung. “Die Finanzierung der Ukraine-Hilfen ist jetzt erst recht möglich durch die Nichtinanspruchnahme der Rücklage von über zehn Milliarden Euro”, erklärte Haase. Laut Fricke könnten “die notwendigen drei Milliarden Euro für die Verteidigung der Bürgerinnen und Bürger der Ukraine gegen russische Drohnen- und Raketenangriffe sofort” beschlossen werden: “Die Ausflüchte von Bundeskanzler Olaf Scholz, das Geld sei nicht da und man müsse woanders kürzen, sind nicht nachvollziehbar.”
NATO-QUOTE ERFÜLLT – PISTORIUS NUTZT SPIELRAUM NICHT AUS
Die Nato-Quote für Verteidigungsausgaben wurde 2024 mit 2,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nach Angaben aus dem Finanzministerium genau erreicht. Diese Zahl ist in der internationalen Debatte wichtig als Messlatte für die Höhe der Verteidigungsanstrengungen eines Nato-Landes. Deutschland hatte diesen Anteil seit Jahren nicht erreicht. Bei seiner Zeitenwendenrede nach Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 hatte Scholz angekündigt, dass sich dies ändern werde.
In dieser Quote werden aber nicht nur Ausgaben für Waffen und Soldaten mitgerechnet, sondern auch Ausgaben anderer Ministerien etwa für Kreditzinsen, Pensionen der Nationalen Volksarmee der DDR oder Kindergeld. In einer Aufstellung hatte das Finanzministerium im November 2023 diese Mittel für 2024 auf rund 14,3 Milliarden Euro beziffert. Mit den Ausgaben im Wehretat und aus dem schuldenfinanzierten Sondervermögen der Bundeswehr standen nach Angaben des Verteidigungsministeriums vom Montag 90,8 Milliarden Euro zur Verfügung.
Allerdings schöpfte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) diesen Spielraum gar nicht aus, wie durch eine Frage des CDU-Haushälters Ingo Gädechens an sein Ministerium bekannt wurde. Rund 4,3 Milliarden Euro flossen nicht ab, etwa aufgrund von Verzögerungen der Industrie, wie das Ministerium einräumte.
Gädechens warf Pistorius zudem Trickserei vor. “Um zu vertuschen, dass wir nach wie vor viel zu wenig Munition beschaffen, hat das Verteidigungsministerium 2024 horrende Vorauszahlungen ohne jede Gegenleistung an die Munitionshersteller gezahlt”, erklärte Gädechens. “Das sieht zwar auf dem Papier gut aus – nur die Munitionsdepots werden erst in ein paar Jahren gefüllt.”
(Mitarbeit: Andreas Rinke und Christian Krämer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)