Scholz und Länderchefs appellieren an Union – Keine Zusammenarbeit mit AfD

Berlin (Reuters) – Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Union aufgefordert, ihren Widerstand gegen vorliegende Gesetzentwürfe zu schärferen Asyl- und Sicherheitsmaßnahmen aufzugeben.

Es sei “empörend”, dass CDU/CSU einerseits unausgegorene oder klar rechtswidrige Vorschläge mache, es andererseits aber konkrete Vorschläge der Regierung gebe, die gerade von der Union aufgehalten würden, sagte der SPD-Kanzlerkandidat am Dienstag in der ARD. Zugleich appellieren sieben SPD-Ministerpräsidentinnen und Länderchefs in einem gemeinsamen Brief eindringlich an ihre Unions-Kollegen, keinen Dammbruch durch einen Zusammenarbeit mit Rechtsextremen zu begehen.

“Uns bewegt die Sorge, dass am Mittwoch im Deutschen Bundestag demokratische Politikerinnen und Politiker in dieser Frage gemeinsam mit Mitgliedern der AfD abstimmen – einer Partei, die in immer mehr Ländern als gesichert rechtsextrem eingestuft ist”, schreiben die sieben Länderchefs. Dies gelte umso mehr, als sich die AfD im Wahlkampf weiter radikalisiert habe. “Die Brandmauer zwischen demokratischen und undemokratischen Parteien darf nicht ins Wanken geraten.” Das sei leider auf kommunaler Ebene längst passiert. “Weder auf Landes- noch auf Bundesebene darf sich diese Entwicklung fortsetzen”, mahnen die SPD-Politikerinnen und -Politiker ihre Unionskollegen.

“Dieser Grundkonsens ist gegenwärtig wichtiger denn je. Die Verantwortlichen im Bund und in den Ländern stehen allesamt in der Pflicht, keinen Zweifel an der gemeinsamen Haltung gegenüber Radikalen aufkommen zu lassen”, heißt es weiter. Kanzler Scholz betonte, dass er mit den Ministerpräsidenten in den vergangenen Jahren bereits etliche Verschärfungen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion gilt in ihren migrations- und finanzpolitischen Vorstellungen als härter und konservativer als die CDU-Ministerpräsidenten, die teilweise auch schwarz-grüne Regierungen anführen.

Hintergrund sind zwei Anträge für eine Wende in der Asylpolitik und zur Verschärfung von Sicherheitsgesetzen, die die Union am Mittwoch im Bundestag zu Abstimmung stellen will. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion will zudem am Freitag über ihren Entwurf eines sogenannten “Zustrombegrenzungsgesetz” im Bundestag zur Abstimmung stellen – und notfalls mit den Stimmen von AfD, BSW und FDP durchsetzen. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat SPD und Grüne zur Zustimmung aufgefordert, aber gesagt, dass nun gehandelt werden müsse. Deshalb hat er nicht ausgeschlossen, dass die Unions-Vorhaben erstmals auch mit AfD-Stimmen durchgesetzt werden könnten.

Sollte dieser Weg am Freitag gegangen werden, wäre dies ein mehrfacher Präzedenzfall. Zum einen würde die größte Oppositionspartei ein Gesetz durchsetzen, während Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit der amtierenden rotgrünen Minderheitsregierung keine Mehrheit mehr hat. Zum anderen galt es bisher in der bundesrepublikanischen Geschichte als Tabu, bei einer Abstimmung auf die Stimmen der AfD angewiesen zu sein, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall und in drei Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuft wird.

Kanzler Scholz kritisierte in der ARD, dass im Bundestag Gesetzentwürfe zu besseren Handelsmöglichkeiten der Polizei mit biometrischen Abgleichen, ein Gesetz zur Verbesserung der Möglichkeiten der Bundespolizei sowie ein Gesetz für das europäische Asylsystem vorlägen, das viele der Fragen löse, die die Menschen jetzt umtrieben. Im übrigen habe die Regierung dafür gesorgt, dass es 2024 bereits 40.000 Zurückweisungen an den deutschen Grenzen gegeben habe.

Im Zusammenhang mit der tödlichen Messerattacke in Aschaffenburg, die die Union als Begründung für eine radikale Wende in der Asylpolitik nennt, machte Scholz den bayerischen Behörden erneut Vorwürfe. “Wir haben ein erhebliches Vollzugsdefizit.” Der Attentäter hätte sich längst nicht mehr in Deutschland aufhalten sollen.

Der SPD-Politiker warf der oppositionellen Union zudem mangelnden Willen zu einer Verständigung vor. Stattdessen liebäugele Merz mit der Durchsetzung eigener Projekte zusammen mit der AfD. “Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich schon fragen, ob sie sich darauf verlassen können, dass, falls es eine Mehrheit von CDU und AfD gäbe, es nicht doch eine schwarz-blaue Koalition gibt”, sagte Scholz in Anspielung auf die sogenannte Brandmauer-Debatte, also die bisherige Nicht-Kooperation der Parteien der politischen Mitte mit der AfD.

(Bericht von Andreas Rinke. Redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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