Bundestag billigt mit AfD-Stimmen Unions-Antrag zu Asylpolitik

– von Andreas Rinke und Alexander Ratz

Berlin (Reuters) – Der Bundestag hat erstmals mit AfD-Stimmen einen Antrag von CDU und CSU verabschiedet.

Damit fordert das Parlament mehrheitlich eine drastische Verschärfung der Asylpolitik. Für den Antrag stimmten am Mittwoch 348 Abgeordnete, dagegen 344, zehn enthielten sich, wie die Bundestagsverwaltung mitteilte. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz betonte nach Bekanntgabe des Ergebnisses: “Ich suche in diesem Deutschen Bundestag keine anderen Mehrheiten als die in der demokratischen Mitte des Parlaments.” Wenn es eine andere Mehrheit gegeben habe, “dann bedauere ich das”, sagte der CDU-Chef mit Blick auf die AfD. Die AfD sprach von einem historischen Moment, SPD und Grüne reagierten mit scharfer Kritik. Dies sei ein schwarzer Tag für die Demokratie. “Sie sehen uns ziemlich erschüttert”, sagt Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge.

Der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann, bezeichnete das Abstimmungsergebnis dagegen als “wahrlich historischen Moment”. Er danke Merz, dies erreicht zu haben, kritisierte aber dessen Distanzierung von der AfD. Nun sei das Ende der “rot-grünen Dominanz” in Deutschland gekommen. “Jetzt und hier beginnt eine neue Epoche. Jetzt beginnt etwas Neues. Und das führen wir an”, sagte der AfD-Politiker. “Sie können folgen, Herr Merz, wenn Sie noch die Kraft dazu haben.”

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich kritisierte Merz. Nach einer Sonderfraktionssitzung der SPD sagte er bei einem Auftritt mit der gesamten Fraktion, Merz und die Union hätten in unverantwortlicher Weise die politische Mitte verlassen. Er sei empört “über die Leichtfertigkeit, über die Wahrheitswidrigkeit und über die Rechtsbeugung”, der den Unions-Antrag zu Asyl durchziehe. Die Grünen sprachen von einem schwarzen Tag für die Demokratie. “Sie sehen uns ziemlich erschüttert”, sagte Co-Fraktionschefin Katharina Dröge. “Ein Antrag hat eine Mehrheit nur deshalb bekommen, weil eine rechtsextreme Fraktion zugestimmt hat.”

“STIMMEN SIE NICHT MIT DENEN AB”

In dem Antrag der Unions-Fraktion wird unter anderem gefordert, Flüchtlinge an den deutschen Grenzen abzuweisen. Für das Handeln der Bundesregierung oder der Staatsgewalt insgesamt ist der Beschluss nicht bindend. Dem Ergebnis zufolge stimmten für den Asyl-Antrag der Union 187 Stimmen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 80 Stimmen kamen aus der FDP, 75 Stimmen aus der AfD und sechs Stimmen von Fraktionslosen. Die 344 Nein-Stimmen kamen von SPD, Grünen und Linken. 31 Abgeordnete hatten sich nicht an der Abstimmung beteiligt, zehn enthielten sich, die meisten davon vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).

Zuvor hatten sich SPD, Grüne und Union gegenseitig dafür verantwortlich gemacht, dass der Bundestag erstmals einen Antrag mit Stimmen der rechtspopulistischen AfD beschließen könnte. Sowohl Kanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warfen Merz einen Tabubruch vor. Merz breche den jahrzehntelangen Grundkonsens, nicht mit extremen Rechten zusammenzuarbeiten, sagte Scholz in einer Regierungserklärung. “Stimmen Sie nicht mit denen ab, in dieser entscheidenden Frage”, hatte auch Habeck an die Union appelliert.

Merz wies die Kritik zurück und sagte, dass er es mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren könne, die richtigen Dinge nicht tun zu können. Entscheidend sei, das Richtige zu tun, auch wenn die Falschen zustimmten. SPD und Grüne könnten eine auf AfD-Stimmen basierende Mehrheit verhindern, wenn sie den Unions-Vorschlägen für eine entscheidende Wende in der Asylpolitik zustimmen würden. Er betonte ebenso wie FDP-Chef Christian Lindner, dass er keine Zusammenarbeit mit der AfD wolle.

ABSTIMMUNGEN NACH REGIERUNGSERKLÄRUNG

Ein zweiter Antrag der Union zu einer Verschärfung der Sicherheitsgesetze wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. SPD und Grüne wollten am Donnerstag ihrerseits Sicherheitsgesetze einbringen, die zuvor von der Union abgelehnt worden waren. Am Freitag will die Union dann wiederum über ein im Innenausschuss des Bundestags liegendes Gesetz zur “Zustrombegrenzung” abstimmen lassen, das unter anderem einen Stopp des Familiennachzugs für Personen mit eingeschränktem Schutzstatus vorsieht. Hier haben neben der Union die AfD, das BSW und die FDP bereits Zustimmung zugesagt. Erstmals könnte dann nicht nur ein Antrag, sondern ein Gesetz mit den entscheidenden Stimmen der Rechtspopulisten beschlossen werden.

Auch von der katholischen und der evangelischen Kirche kam Kritik an Christdemokraten und Christsozialen: “Die Fraktionen haben sich mit der Auflösung der Ampelkoalition darauf verständigt, keine Abstimmungen herbeizuführen, in der die Stimmen der AfD ausschlaggebend sind. Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt, wenn dieses politische Versprechen aufgegeben wird”, heißt es in einem gemeinsamen Brief von Prälatin Anne Gidion als Bevollmächtigter des Rates der EKD und Prälat Karl Jüsten für das Kommissariat der deutschen Bischöfe an die Bundestagsabgeordneten.

“Klar ist, dass im Interesse unserer Gesellschaft, ein Wandel im Umgang mit illegaler Migration in Deutschland notwendig ist”, sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, der Nachrichtenagentur Reuters. “Ich finde es enttäuschend, dass die demokratischen politischen Kräfte in unserem Land – auch in Zeiten des Wahlkampfs – nicht in der Lage waren, sich auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen und damit der AfD diese Bühne bereitet haben.”

(Mitarbeit: Holger Hansen und Madeline Chambers. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

tagreuters.com2025binary_LYNXNPEL0T06M-VIEWIMAGE