Berlin (Reuters) – Der Expertenrat für Klimafragen hält trotz Fortschritten das deutsche Klimaziel 2030 ohne zusätzliche Instrumente für kaum zu schaffen.
Ein Rats-Gutachten komme zum Ergebnis “dass das Erreichen der Ziele des Klimaschutzgesetzes ohne wesentliche Anpassungen in der Ausrichtung eher fraglich erscheint”, sagte der Rats-Vorsitzende Hans-Martin Henning am Mittwoch in Berlin. Zwar habe sich der Rückgang des CO2-Ausstoßes zuletzt beschleunigt und die Jahresziele wurden erreicht. Allerdings müsste das Tempo des Rückgang für das Ziel um 50 Prozent zulegen. Besonders Gebäude- und Verkehrssektor blieben problematisch. Wälder und Moore würden zudem unterm Strich CO2 produzieren, obwohl sie laut Planungen eigentlich zum Klimaschutz beitragen sollten. Der Rat machte zudem deutlich, dass für den klimafreundlichen Umbau jährlich Mehrinvestitionen zwischen 51 und 150 Milliarden Euro nötig seien.
Dem unabhängigen Expertenrat für Klimafragen kommt eine zentrale Rolle im deutschen Klimaschutzgesetz zu. Das fünfköpfige Gremium muss in regelmäßigen Abständen überprüfen, ob Deutschland sein völkerrechtlich verbindliches Ziel 2030 einhalten kann. Dies sieht eine Emissionsminderung gegenüber 1990 von 65 Prozent vor. Bereits im vergangenen Jahr wurde dies ohne Nachbesserungen als kaum erreichbar bezeichnet. Wird dies zwei Jahre in Folge attestiert, muss die Regierung nachsteuern. Der nächste Bericht wäre erst nach der vorgezogenen Bundestagswahl fällig. Allerdings sieht das Klimagesetz ohnehin vor, dass jede neue Regierung innerhalb eines Jahres nach Antritt ein aktualisiertes Klimaschutzprogramm vorlegen muss.
Das jetzt vorliegende Zwei-Jahres-Gutachten hat in erster Linie die Aufgabe, die Wirkung bisherige Entwicklungen und Instrumente zu überprüfen und auch Wirtschaftlichkeit und soziale Folgen unter die Lupe zu nehmen.
Die Experten erkennen an, dass es zuletzt Fortschritte gegeben hat: “Der Trend des Rückgangs der Treibhausgasemissionen von 2014 bis 2023 hat sich im Vergleich zur Dekade 2010 bis 2019 beschleunigt.” Dies gelte vor allem für den Energiesektor und teils auch für die Industrie. Bei letzterer wirkten aber die Energiekrise und die Wirtschaftsflaute. “Allerdings zeigt der vertiefte Blick dann auch, dass das Instrumentarium, also die Struktur der Maßnahmen, sich letztlich wenig geändert hat”, bemängelte Henning. Neue Instrumente seien aber nötig, um die Beschleunigung des Rückgang zu verstärken.
MILLIARDENZAHLUNGEN DROHEN WEGEN VERKEHR UND GEBÄUDEN
Bei Gebäuden und Verkehr seien die Aussicht dagegen düster: Es würden noch zuviele Verbrenner-Autos zugelassen, die auch in vielen Jahren noch auf der Straße sein würden. Die Wirkungen des Deutschlandtickets im Nahverkehr seien schwer zu beziffern. Zudem würden in Deutschland zu wenig Wärmepumpen eingebaut, so dass auch hier fossile Energie eine zu große Rolle einnehme. Die CO2-Abgabe auf Gas, Heizöl oder Sprit, die in den nächsten Jahren steigen wird, könne allein nicht ausreichend sein, schreiben die Experten.
Deutschland drohen so Milliarden-Zahlungen, da die Sektoren Gebäude und Verkehr eigene Jahres-Ziele haben, die die EU kontrolliert. Werden hier in den nächsten Jahren weiter Vorgaben verfehlt, muss Deutschland CO2-Verschmutzungsrechte von anderen Staaten kaufen.
Mit Blick auf die nötigen Kosten für den Umbau hin zur Klimaneutralität zogen die Experten 13 verschiedene Studien zu Rate. Diese sähen einen jährlichen Bedarf von privaten und öffentlichen Investitionen von 135 bis 255 Milliarden Euro. Allerdings müsse man davon die Kosten abziehen, die ohnehin für Ersatzbeschaffungen angefallen wären – etwa der Ersatz einer alten Heizung. An Mehrinvestition sei daher mit 51 bis 150 Milliarden Euro jährlich zu rechnen, sagte Rats-Mitglied Thomas Heimer.
Unzufrieden zeigten sich die Experten auch mit der sozialen Lasten- und Förderverteilung beim Klimaschutz gerade in Verkehr- und Gebäudesektor. So seien etwa die Hilfen für den Einbau von Wärmepumpen oder den Kauf von Elektro-Autos vor allem reicheren Menschen zugute gekommen. Das Deutschlandticket mit neun Euro bei der Einführung habe den Ärmeren geholfen. Dies sehe beim Preis von 58 Euro schon wieder anders aus, sagte die Co-Vorsitzende des Gremiums, Brigitte Knopf.
(Bericht von: Markus Wacket; redigiert von Kerstin Dörr Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)