Berlin (Reuters) – Die nächste Bundesregierung muss einer Studie zufolge mit milliardenschweren Förderungen die riesige Lücke beim Bau von Sozialwohnungen schließen.
Bis 2030 müssten pro Jahr mindestens 210.000 Sozialwohnungen neu geschaffen werden, vor allem per Neubau, teilte das Verbändebündnis Soziales Wohnen am Mittwoch in Berlin mit. Hinzu komme der Ankauf und die Verlängerung von Belegungsrechten für einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen. “Nur so kann es gelingen, in fünf Jahren die Zielmarke von zwei Millionen Sozialwohnungen zu erreichen”, sagte Matthias Günther, Chefökonom des Forschungsinstituts Pestel. Er hat zusammen mit dem Bauforschungsinstitut ARGE die Lage auf dem Wohnungsmarkt unter die Lupe genommen. “Doch selbst dann wäre nur die gröbste Not gelindert.”
Der Wohnungsmangel – vor allem in Großstädten – spielt bislang im Wahlkampf kaum eine Rolle, weil die Themen Migration und Wirtschaftsflaute dominieren. Seit Mitte der 1990er Jahre sinkt die Zahl der Sozialwohnungen kontinuierlich, liegt nur noch knapp oberhalb der Marke von einer Million. 2006 waren es noch zwei Millionen. Darin stecke sozialer Sprengstoff, sagte Günther. Würde der Staat alle Menschen, die einen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, tatsächlich versorgen, dann wären bundesweit sogar rund 5,6 Millionen Sozialwohnungen notwendig.
EXPERTE: “PREMIUM-SOZIALWOHNUNGEN” GEHEN AM BEDARF VORBEI
Die Zahlen der zerbrochenen Regierung aus SPD, Grünen und FDP sind trotz eigens geschaffenem Bauministerium ernüchternd. Die Ampel wollte pro Jahr 400.000 Wohnungen neu bauen, davon 100.000 Sozialwohnungen. “Doch damit ist sie krachend gescheitert”, sagte Günther. ARGE-Chef Dietmar Walberg ergänzte, 2023 – dem letzten vollen Regierungsjahr der Ampel – seien nur gut 23.000 Sozialwohnungen gefördert worden. “Das Paradoxe ist: Der Bund hat dabei sogar mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau gegeben als zuvor. Trotzdem kamen am Ende weniger Sozialwohnungen heraus.” Der Grund dafür liege auf der Hand: Es werde zu teuer gebaut, so entstünden “Premium-Sozialwohnungen”, die sich viele auch nicht leisten könnten.
Das Bauforschungsinstitut aus Kiel betonte, die reinen Baukosten bei Sozialwohnungen könnten um bis zu ein Drittel gedrückt werden. “Unter dem Strich würde die bisherige vom Staat gezahlte Fördersumme von gut 3200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche sogar ausreichen, um damit den Bau von Sozialwohnungen komplett zu finanzieren”, sagte Walberg. Zusätzliche Kosten gingen dann in Extras wie die Qualität von Wänden und Decken, dreifach verglaste Fenster sowie Kellerräume und Tiefgaragenplätze. Nach ARGE-Berechnungen können Sozialwohnungen für 2920 Euro pro Quadratmeter gebaut werden. Für die reinen Baukosten wären 1840 Euro Fördergeld pro Quadratmeter nötig. Dazu kämen noch die Grundstückskosten. “Hier ist es entscheidend, dass die Kommunen deutlich mehr günstiges Bauland für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen als bislang”, sagte Walberg.
Das Verbändebündnis Soziales Wohnen bezifferte die staatlichen Kosten für Bund und Länder auf elf Milliarden Euro, um 100.000 Sozialwohnungen neu zu bauen. Diese Summe sollte mindestens pro Jahr in einem Fonds geparkt werden, um langfristig und unabhängig von der Haushaltslage Erfolge zu erzielen. Die Verbände plädierten zudem für eine Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent für alle Bauleistungen, sofern in Gebäuden mindestens zwei Drittel Sozialwohnungen sind.
(Bericht von Christian Krämer; Redigiert von Klaus Lauer; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)