Streit bei Gesprächen in Österreich – FPÖ/ÖVP-Koalition könnte scheitern

Wien/Berlin (Reuters) – In den schwierigen Koalitionsverhandlungen in Österreich beharken sich die konservative ÖVP und die rechte FPÖ immer stärker.

Die Parteien kritisieren sich zunehmend öffentlich und der Ton dabei wird rauer. Damit rückt eine erfolgreiche Regierungsbildung unter FPÖ-Chef Herbert Kickl als erstem rechten Bundeskanzler Österreichs seit Kriegsende vorerst in weite Ferne. Die ÖVP bot den Freiheitlichen am Mittwoch Kompromisse bei der umstrittenen Verteilung der Ministerposten an. Zugleich mahnte die ÖVP, es fehle weiter ein klares Bekenntnis der FPÖ zu den Grundsätzen der ÖVP, wie einem pro-europäischen Kurs. Die FPÖ wies dies umgehend zurück und beansprucht weiter das Finanz- und Innenministerium für sich. Kickl erklärte, dass man sich nun zunächst um die Ressortverteilung streite anstatt inhaltliche Unstimmigkeiten zu klären, darauf habe die ÖVP bestanden.

Die Gespräche waren zuletzt mehrfach ins Stocken geraten. Es wurden auch interne Papiere durchgestochen und beide Verhandlungsparteien äußern sich mit zunehmend scharfer Rhetorik über die andere Seite – und zwar öffentlich über die Medien. Dies hatte es anfangs nicht gegeben.

STREIT UM DAS INNEN- UND FINANZMINISTERIUM

Hauptknackpunkt ist, dass die FPÖ neben dem Kanzleramt auch auf das Finanz- und Innenministerium pocht. “Das ist kein Machtrausch, das ist mehr als fair, außer die ÖVP will eine Alleinregierung”, erklärten die Rechtspopulisten. Sie boten eine Ressortverteilung an, wonach die FPÖ sechs und die ÖVP sieben Ministerien bekomme, darunter das Außenministerium. Die Konservativen sind aber auch am Finanz- und Innenministerium interessiert. Sie schlugen als Entgegenkommen vor, dass die FPÖ ein eigenes Asyl- und Migrations-Ministerium bekomme. Im Gegenzug solle die ÖVP das Innenressort samt Geheimdienst und auch das Finanzministerium erhalten.

Die FPÖ wies dies zurück. Sie selbst müsse das Finanzministerium übernehmen und die nötige Haushaltskonsolidierung mit dem Kanzler vorantreiben. Dies sei “das Gebot der Stunde”. Zudem dürfe die ÖVP dieses Ministerium nicht behalten, weil sie für die finanzielle Schieflage des Landes mitverantwortlich sei. Den Vorschlag der Konservativen zum Innenministerium lehnten die Rechtspopulisten ebenfalls ab. Sie erklärten, das Grundsatzpapier der ÖVP müsse in Teilen noch von den Chefverhandlern diskutiert werden, “wobei die ÖVP genau diese Diskussion ja verweigerte, weil sie zuerst die Ressortfrage abschließend geklärt haben wollte”.

FPÖ-Chef Kickl kritisierte, dass die ÖVP zunächst die Ressort-Verteilung klären wolle. “Das ist die Wahrheit”, sagte er in einer Videobotschaft. “Wer etwas anderes behauptet, der versucht, die österreichische Bevölkerung hinters Licht zu führen.”

Nach geplatzten Koalitionsverhandlungen der ÖVP mit der sozialdemokratischen SPÖ und den liberalen Neos hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen den FPÖ-Chef beauftragt, in Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP eine Regierungsbildung zu versuchen.

Anfangs hatten sich beide Parteien zügig auf ein Sparpaket über rund 6,4 Milliarden Euro geeinigt, um den Haushalt zu konsolidieren und ein EU-Defizitverfahren gegen Österreich abzuwenden. Verhandlungen über das Verhältnis zur Europäischen Union, zu Russland und Außenpolitik sowie Fragen rund um die Migration sind offenbar konfliktreicher. Die FPÖ gilt als EU-skeptisch und Russland-freundlich.

Inzwischen sind die Sozialdemokraten und Liberalen wieder bereit, neu mit der ÖVP über die Bildung einer Regierung zu verhandeln. Alternativ könnte es Neuwahlen geben. Dann dürfte die FPÖ laut Umfragen ihren Vorsprung gegenüber den anderen Parteien ausbauen.

(Bericht von Francois Murphy und Klaus Lauer, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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