30 Verletzte bei mutmaßlichem Anschlag in München – Auto fährt in Menschenmenge

– von Jörn Poltz und Holger Hansen

München (Reuters) – Zehn Tage vor der Bundestagswahl sind bei einem mutmaßlichen Anschlag mit einem in eine Menschenmenge gelenkten Auto in München 30 Menschen verletzt worden, einige lebensgefährlich.

“Es hat heute einen mutmaßlichen furchtbaren Anschlag hier in München gegeben”, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Donnerstag am Ort des Geschehens. Bei dem festgenommenen Fahrer des Kleinwagens handelte es sich laut Polizei um einen 24-jährigen Asylbewerber aus Afghanistan. Der in München ansässige Mann habe sich rechtmäßig in Deutschland aufgehalten, sagte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Der Mann steuerte einen Mini-Cooper an einem Polizei-Fahrzeug vorbei offenbar gezielt in das Ende eines Demonstrationszugs der Gewerkschaft Verdi. Ein Zusammenhang mit der am Freitag beginnenden Sicherheitskonferenz, zu der viele Spitzenpolitiker erwartet werden, war laut Polizei nicht erkennbar. “Wir müssen hinsichtlich der Motive die weiteren Ermittlungen abwarten”, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz äußerten sich bestürzt. Der mutmaßliche Anschlag ist der dritte binnen weniger Wochen. Kurz vor Weihnachten 2024 war ein Mann aus Saudi-Arabien in Magdeburg mit seinem Auto in den Weihnachtsmarkt gefahren und hatte sechs Menschen getötet. Der Anschlag hatte ebenso wie ein Messerangriff in Aschaffenburg durch einen ausreisepflichtigen Afghanen mit zwei Toten am 22. Januar die Debatte über die Flüchtlings- und Asylpolitik verschärft und zu einem der wichtigsten Themen im Bundestagswahlkampf werden lassen.

“Dieser Täter kann nicht auf irgendeine Nachsicht rechnen”, sagte Scholz. “Er muss bestraft werden. Und er muss das Land verlassen.” Faeser verwies darauf, dass der Tatverdächtige “erneut ein junger Afghane” sei und Menschen bei schweren Straftaten “auch in schwierige Länder” ausgewiesen werden müssten.

Merz erklärte via X, es müsse sich etwas ändern in Deutschland: “Die Sicherheit der Menschen in Deutschland wird für uns an erster Stelle stehen. Wir werden Recht und Ordnung konsequent durchsetzen.” Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, die Migration wachse Deutschland über den Kopf. “Es muss jetzt endlich was getan werden.” Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck schrieb auf X, er sei “entsetzt angesichts dieser sinnlosen Tat”. AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel sprach von einem “Terror-Fahrer von München”. Sie forderte “Migrationswende jetzt!”. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kündigte sich nach Angaben der bayerischen Staatskanzlei für Freitag zum stillen Gedenken am Tatort gemeinsam mit Söder und Reiter an.

MUTMASSLICHER TÄTER WAR MIT BETÄUBUNGSMITTELN AUFGEFALLEN

Der mutmaßliche Täter näherte sich laut Polizei von hinten einem von der Polizei abgesicherten Verdi-Demonstrationszug mit 1500 Menschen, überholte ein Polizeifahrzeug, beschleunigte und fuhr in das Ende der Versammlung. “Wir müssen alle hoffen und beten, dass es keine Todesfälle gibt”, sagte Oberbürgermeister Reiter. Ein Polizist habe einmal auf den Kleinwagen geschossen, teilte die Polizei mit. Der Tatverdächtige sei unabhängig von dem Schuss leicht verletzt und unmittelbar danach festgenommen worden. Er soll am Freitag einem Haftrichter vorgeführt werden. Der Afghane mit Wohnsitz in München habe über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügt, erklärte die Polizei. Er sei aufgrund seiner vorherigen Tätigkeit als Ladendetektiv als Zeuge in Ermittlungsverfahren aufgetreten und deswegen polizeibekannt. Die Ermittlungen übernahm die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus bei der Generalstaatsanwaltschaft München. Auf Reuters-Anfrage bestätigte die Behörde den Namen des Verdächtigen mit Farhad N.

KINDERWAGEN DURCH AUFPRALL ZERSTÖRT

Bei dem Kleinwagen war die Front schwer beschädigt. Der rechte Kotflügel des Autos war zertrümmert. Windschutzscheibe und Dach waren eingedrückt. Um den Wagen herum lagen verstreut Kleidungsstücke, Schuhe und Verdi-Fahnen. Auch die Reste eines stark zerdrückten Kinderwagens waren erkennbar.

Söder sagte, man könne nicht “von Anschlag zu Anschlag gehen und Betroffenheit zeigen”. Verdi-Chef Frank Werneke äußerte sich bestürzt. Unter den Betroffenen seien auch Menschen mit Migrationsgeschichte. Er verwahre sich gegen eine Instrumentalisierung des Vorfalls durch rechte Kräfte. Laut Polizei gab es etwa 1500 Teilnehmende an der Demonstration zu den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst.

In München läuft derzeit unter hohen Sicherheitsvorkehrungen die Sicherheitskonferenz an, zu der hochrangige Gäste aus dem In- und Ausland erwartet werden. Sie beginnt am Freitag. Schon am Donnerstag wurden US-Vizepräsident JD Vance und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erwartet. Die Polizei ging nicht von einem Zusammenhang mit dem mutmaßlichen Anschlag aus.

(Bericht von Jörn Poltz, Holger Hansen, Ayhan Uyanik, Anja Guder und Wolfgang Rattay. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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