Außenpolitisches Schaulaufen – Vier Kanzlerkandidaten in München

– von Andreas Rinke

München (Reuters) – Sein Auftritt in München beginnt mit einem Gelächter: Die Moderatorin begrüßt Friedrich Merz auf der Sicherheitskonferenz versehentlich als “Kanzler” – und zaubert dem CDU-Chef damit innerhalb von Sekunden ein breites Lächeln aufs Gesicht.

Nein nein, wehrt er am Samstag ab. So weit sei es noch nicht, es gebe noch eine Wahl, scherzt Merz, als sie sich schnell korrigiert. Aber einen besseren Start im Schaulaufen der Kanzler-Kandidaten auf der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) konnte sich der CDU-Vorsitzende gar nicht wünschen. Denn eine Woche vor der Bundestagswahl wollten viele der 60 Staats- und Regierungschefs und 150 Ministerinnen und Ministern wissen, wie sich die Kontrahenten um den politischen Chefposten der drittgrößten Wirtschaftsnation der Welt präsentierten – gerade nachdem US-Vizepräsident JD Vance den Europäern mit einer pauschalen Demokratie-Kritik den Fehdehandschuh hingeworfen hatte.

Eigentlich waren auf der MSC nur Kanzler Olaf Scholz (SPD), Merz und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) geladen – nicht aber AfD-Co-Chefin Alice Weidel. Konferenz-Chef Christoph Heusgen hatte dies etwa mit der antifaschistischen Tradition der Veranstaltung begründet. Doch Freitagabend wurde bekannt, dass sich Vance gleich in mehrfacher Hinsicht in den deutschen Wahlkampf einmischen wollte. Erst hielt er den Europäern den angeblichen Abbau demokratischer Rechte vor. Danach empfing er in seinem Hotel demonstrativ eben jene nicht eingeladene Weidel. In aller Schärfe verbaten sich daraufhin sowohl Kanzler Scholz als auch Merz und Habeck Einmischung aus den USA.

Im US-Präsidentschaftswahlkampf hatte es vergangenes Jahr zwar aus Deutschland auch Empfehlungen für die demokratische Kandidatin und Trump-Kontrahentin Kamala Harris gegeben: Aber dass die Trump-Regierung die Regierungsbeteiligung einer Partei empfiehlt, die als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft wird, sorgte parteiübergreifend für Empörung – außer bei Weidel, die die Vance-Rede überschwänglich lobte.

Den schwierigsten Part der anderen Kanzlerkandidaten hatte in München sicher Habeck. Denn der Grüne war nur zu einem Panel über mögliche Handelskriege geladen. Dementsprechend begrenzt war das Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit, das er in München bekam.

Kanzler Scholz hatte dagegen auf dem Papier eigentlich den prominentesten Teil erwischt, weil er am Samstag die erste zentrale Rede hielt. Doch zum einen herrschte mit Blick auf die Umfragen im München ein wenig Abschiedsstimmung. Zum anderen hatte Vance mit seinem Auftritt schon am Freitag die ganze Konferenz-Dramaturgie geändert. Als der Kanzler kam, war der Amerikaner schon wieder abgereist. Zwar hatte der SPD-Politiker den US-Vizepräsidenten schon Anfang der Woche auf einem KI-Gipfel in Paris gesehen. Aber so entstand bei der transatlantischen Community in München der Eindruck, als ob Vance zwar Zeit für Merz und Weidel hatte – aber bewusst nicht für Scholz und Habeck.

Der Kanzler versuchte das wettzumachen, indem er sich nicht nur scharf die Einmischung der US-Regierung verbat, sondern in seiner Rede auch auf den Schwachpunkt der Unions-Wahlversprechen hinwies: Wie wolle die Union die riesigen Ausgaben für Verteidigung und Investitionen meistern, wenn sie eine Reform der Schuldenbremse ablehnt? Tatsächlich äußerten mehrere EU-Diplomaten ähnlich Sorgen. Eine Woche vor der Bundestagswahl, in der die SPD laut Umfragen deutlich hinter der Union liegt, schlug der Kanzler zudem eine radikale Reform der EU-Schuldenregeln vor: So sollte man im Interesse finanzschwacher EU-Länder die Ausgaben für das Erreichen des Nato-Ziels von zwei Prozent Verteidigungsausgaben an der Wirtschaftsleistung aus den Schulden herausrechnen.

Merz hatte es als Unions-Kandidat einfacher: Sein Programm war mit bilateralen Gesprächen voll gespickt, was er auch gerne öffentlich kommunizierte. Denn andere Regierungschefs sind eben neugierig auf den Mann, der laut Umfragen gute Chancen hat, künftiger Kanzler zu werden. Merz wiederum wollte den Vorwurf mangelnder Regierungserfahrung mit dem Hinweis kontern, dass auch er über ein ausreichend großes internationales Netzwerk an Kontakten verfüge. Und auf der Bühne wurde der CDU-Chef nicht wirklich darauf festgenagelt, ob er nun die Schuldenbremse lockern und der Ukraine auch Taurus-Marschflugkörper liefern würde.

Zwei Botschaften sandten die drei Kanzlerkandidaten in München übrigens gemeinsam in die Welt: Egal, was Vance oder die US-Regierung will – in Deutschland werde es keine Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen AfD geben. Und auf die Frage nach einer möglicherweise drohenden Instabilität versuchten Scholz und Merz ihre Gesprächspartner zu beruhigen: Es sei gute Tradition, dass Parteien zwar Wahlkampf gegeneinander führten, dann aber nach der Wahl zusammenarbeiteten – besonders in schwierigen Situationen, betonte der Kanzler. “Ich habe da also keinerlei Zweifel oder Sorge, dass wir nicht hier einen breiten Konsens in Deutschland finden werden”, fügte er hinzu, trotz der zuvor scharfen Kritik im Wahlkampf an seinem Kontahenten Merz. In der klaren Unterstützung der Ukraine sind sich SPD, Union und Grüne ohnehin einig – gestritten wird aber über den Weg.

(redigiert von Christian Rüttger. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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