Berlin (Reuters) – Die neue Regierung muss Top-Ökonomen zufolge vor allem strukturelle Probleme der deutschen Wirtschaft angehen und die Verteidigungsfähigkeit verbessern.
Man komme nun ins dritte Jahr ohne Wachstum und es werde immer klarer, dass es nicht nur konjunkturelle, sondern vor allem strukturelle Schwierigkeiten in Deutschland gebe, sagte Präsidentin Nicola Fuchs-Schündeln vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, am Montag. Die geopolitischen Herausforderungen seien – nicht zuletzt seit dem vergangenen Wochenende – enorm. Es gebe deutlich mehr Unsicherheit bei Firmen und Verbrauchern. “Die neue Regierung muss diese Unsicherheit überwinden”, sagte Fuchs-Schündeln.
DIW-Präsident Marcel Fratzscher warnte davor, dass man in Deutschland nicht immer den Blick nach hinten richten dürfe auf goldene Zeiten. “Wir müssen viel schneller und viel mutiger bei der wirtschaftlichen Transformation werden.”
Durch die Äußerungen von US-Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz ist vielen Menschen und Politikern in Europa klar geworden, dass die USA auch in Fragen der Verteidigung nicht mehr der zuverlässige Partner der Vergangenheit sind. “Die Unsicherheit explodiert jetzt natürlich noch mal”, sagte der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, mit Blick auf den Verteidigungsbereich. Die große Frage sei, wie schaffe und finanziere man mehr Militärausgaben.
“EUROPÄISCHES MANHATTAN-PROJEKT” – VERTEIDIGUNG WIRD WICHTIG
Der Präsident des Kieler IfW-Instituts, Moritz Schularick, mahnte zur Eile, weil man sich nicht mehr auf den Bündnispartner USA verlassen könne. “Wir müssen jetzt schnell in den nächsten zwei bis drei Jahren mit extrem hoher Geschwindigkeit in vielen Bereichen der Verteidigung Kapazitäten aufbauen, die wir nicht haben.” Dies werde zwar viel kosten, aber zugleich auch die Konjunktur anschieben. “Wir haben da Wachstumsperspektiven”, sagte Schularick. Wichtig sei aber, dass es rund um Rüstung eine High-Tech-Investitionsoffensive gebe müsse, damit Deutschland hier seine technologischen Rückstände aufholen könne. Es habe schon so viele Weck-Rufe gegeben und man habe immer nur auf den “Snooze-Button” gedrückt. Nun müsse man sich beeilen und die Frage sei: “Wie kriegen wir unser europäisches Manhattan-Projekt hin, dass wir in zwei Jahren verteidigungsfähig sind”, sagte Schularick mit Blick auf den Bau der Atombombe während des Zweiten Weltkriegs in den USA.
Der Präsident des IWH-Instituts in Halle, Reint Gropp, äußerte sich zur künftigen Regierung eher skeptisch. Das Problem sei: “Wir haben derzeit zu viele Herausforderungen.” Dies betreffe etwa Demografie, Klima und Verteidigung. Und zugleich solle die Schuldenbremse eingehalten werden, kritisierte Gropp. “Das passt alles nicht so zusammen.” Er habe mit Blick auf die Wahlprogramme der Parteien wenig Vertrauen, dass jemand eine Gesamtstrategie habe, wie das alles gleichzeitig zu stemmen sei. Deutschland habe Strukturprobleme. Um diese zu beheben, müsse man kurzfristig “wahnsinnig viel Geld” in die Hand nehmen. Hier könne man der neuen Regierung nur viel Mut wünschen. Deutschland sei in der Vergangenheit immer gut gewesen, Dinge langfristig Schritt für Schritt besser zu machen – etwa den Verbrennermotor, betonte Gropp. “Wir sind dramatisch schlechter darin, mit disruptiven Veränderungen umzugehen.”
Die deutsche Wirtschaft ist 2023 und 2024 geschrumpft und dürfte in diesem Jahr allenfalls leicht wachsen. Pessimisten rechnen sogar mit einem dritten Rezessions-Jahr in Folge – das gab es seit Gründung der Bundesrepublik noch nie.
(Bericht von Klaus Lauer; redigiert von Kerstin Dörr – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)