Berlin (Reuters) – Börsenprofis schöpfen kurz vor der Bundestagswahl Hoffnung, dass es mit der seit Jahren schrumpfenden deutschen Wirtschaft wieder aufwärts geht.
Das Barometer für die Aussichten in den kommenden sechs Monaten stieg im Februar um 15,7 Punkte auf 26,0 Zähler, wie das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Dienstag zu seiner Analysten-Umfrage mitteilte. Dies ist der stärkste Anstieg in den vergangenen zwei Jahren: “Hoffnungen auf eine handlungsfähige neue Bundesregierung dürften für den gestiegenen Optimismus gesorgt haben”, sagte ZEW-Präsident Achim Wambach zu den Ergebnissen der Befragung von 158 Börsianern.
Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit einem Anstieg des Barometers auf 20,0 Punkte gerechnet. Das Barometer für die aktuelle Lage legte allerdings nur geringfügig zu – und zwar um 1,9 Punkte auf minus 88,5 Zähler. “Offenbar sind Vorschusslorbeeren wegen des sich abzeichnenden Regierungswechsels verteilt worden”, kommentierte Chefökonom Alexander Krüger von der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Gleichwohl werde die aktuelle Lage weiter als sehr schlecht beurteilt. Für eine echte Stimmungswende müssten sich höhere Erwartungen auch in einer besseren Lage niederschlagen, meinte der Experte. Doch auch bei gutem Verlauf werde die Wirtschaftsleistung im laufenden Quartal kaum mehr als stagnieren.
2023 und 2024 ist das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent und 0,2 Prozent geschrumpft. Kommt es zum dritten Rezessionsjahr in Folge, wäre dies die längste Flaute in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Union, die in Umfragen vor der Wahl am 23. Februar deutlich vorne liegt, will mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz die wirtschaftliche Misere überwinden. Merz zeigte sich optimistisch, dass eine von ihm geführte Regierung dies schaffen werde: “Wir haben einen Plan für dieses Land. Und dieses Land muss nach vorne kommen”, sagte er jüngst in der Fernsehdiskussion mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie den Kanzlerkandidaten von AfD beziehungsweise den Grünen, Alice Weidel und Robert Habeck, auf RTL/ntv.
Das ZEW-Institut hatte die Debatte über die Steuerkonzepte der Parteien im Wahlkampf mit eigenen Berechnungen angeheizt: Demnach würden die Wahlprogramme von FDP, CDU/CSU und AfD vor allem höhere Einkommensklassen entlasten. Dagegen bedeuteten die Pläne von SPD, den Grünen, den Linken und dem BSW besonders für untere und mittlere Einkommen einen Zuwachs. Die ZEW-Forscher untersuchten dafür nach eigenen Angaben die Auswirkungen zentraler Reformvorschläge der Parteien zu Steuern, Mindestlohn und Sozialleistungen auf private Haushalte.
BESSERE AUSSICHTEN FÜR BAUBRANCHE
Laut ZEW-Chef Wambach dürfte die ausbleibende Konsumnachfrage privater Haushalte mit Sicht auf die nächsten sechs Monate wieder anziehen. Die jüngste Zinssenkung der EZB, mit der diese auf die schwache Konjunkturentwicklung in der Währungsunion reagiert hat, könnte aus Sicht des ZEW zu den verbesserten Aussichten für die Baubranche beigetragen haben.
Dieser Wirtschaftszweig steckte 2024 tief in der Krise: Die Zahl der Baugenehmigungen ist im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit 2010 gefallen und wirft ein Schlaglicht auf die Lage am deutschen Immobilienmarkt. Die Behörden gaben grünes Licht für nur 215.900 Wohnungen und damit 43.700 oder 16,8 Prozent weniger als im Jahr davor. Es war das dritte Minus in Folge, wobei sich der Rückgang im zweiten Halbjahr 2024 verlangsamte. “Diese Entwicklung steht in einem krassen Gegensatz zu der Wohnungsnot, die weiter in den Großstädten beklagt wird”, sagte Cyrus de la Rubia, Chefökonom der HCOB Bank. “Es überrascht, dass dieses Thema im Wahlkampf kaum beachtet wurde.”
(Bericht von Reinhard Becker, Mitarbeit Frank Siebelt, Klaus Lauer, redigiert von Ralf Banser – Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)