Jerusalem (Reuters) – Die Hamas hat die sterblichen Überreste von vier Geiseln übergeben – darunter die zweier kleiner Brüder.
In Chan Junis im Süden des Gazastreifens übernahm ein Team des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) am Donnerstag vier schwarze Särge und fuhr sie zu israelischen Soldaten in der Nähe. Sie nahmen die sterblichen Überreste von Kfir und Ariel, ihrer Mutter Schiri Bibas sowie von Oded Lifschitz in Empfang, um sie zurück nach Israel zu bringen. Kfir wurde nur neun Monate alt, Ariel vier Jahre. Sie sind die jüngsten Geiseln, die die Hamas und der mit ihr verbündete Islamische Dschihad bei ihrem überraschenden Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt haben. Es ist das erste Mal seit Beginn der Waffenruhe am 19. Januar, dass die Hamas die sterblichen Überreste von Geiseln übergibt.
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte in einer kurzen Videobotschaft, der Donnerstag werde “ein sehr schwieriger Tag für den Staat Israel. Ein erschütternder Tag, ein Tag der Trauer.”
Der Säugling Kfir wurde mit seinem Bruder, seiner Mutter und seinem Vater Jarden im Kibbuz Nir Os entführt. Im November 2023 teilte die Hamas mit, die Jungen und ihre Mutter seien bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. Die israelischen Behörden haben den Tod bislang nicht bestätigt, dies wird auch erst nach einer vollständigen DNA-Untersuchung erwartet. Bis zum Schluss weigerten sich viele in Israel zu glauben, dass die drei tot sind. “Schiri und die Kinder wurden zu einem Symbol”, sagte Jiftach Cohen, ein Bewohner von Nir Os, das bei dem Angriff rund ein Viertel seiner Einwohner verlor – sie wurden getötet oder entführt. “Ich hoffe immer noch, dass sie am Leben sind.”
Jarden Bibas wurde in diesem Februar von der Hamas freigelassen. Seine Familie erklärte diese Woche, ihre “Reise sei nicht zu Ende”, bis sie eine endgültige Bestätigung darüber erhalten haben, was mit den Jungen und ihrer Mutter passiert ist.
Auch Lifschitz, ein 83 Jahre alter früherer Journalist, wurde aus dem Kibbuz Nir Os, den er mitbegründet hatte, verschleppt. Seine Frau Jochewed – damals 85 Jahre alt – wurde zusammen mit ihm entführt und zwei Wochen später mit einer anderen älteren Frau freigelassen. Lifschitz hatte in einem Meinungsartikel für die linksliberale Zeitung “Haaretz” im Januar 2019 Netanjahus Politik in Bezug auf die Hamas und den Gazastreifen kritisiert. “Er ist kein Verteidiger Israels”, schrieb Lifschitz damals mit Blick auf Netanjahu. Er warf dem konservativen Politiker unter anderem dessen strikte Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung vor.
AM SAMSTAG SOLLEN SECHS GEISEL FREIKOMMEN
In Chan Junis versammelten sich Hunderte Menschen in der Winterkälte, um die Übergabe der Särge zu beobachten. Bewaffnete Hamas-Kämpfer waren vor Ort. Einer von ihnen stand neben einem Plakat, auf dem ein Mann über in israelische Flaggen gehüllten Särgen stand. Statt Beinen hatte er Baumwurzeln im Boden, was darauf hindeutete, dass das Land den Palästinensern gehört. Auf dem Plakat war zu lesen: “Die Rückkehr des Krieges = Die Rückkehr eurer Gefangenen in Särgen”. Ein großes Plakat hing am Ort der Übergabe. Es zeigte Netanjahu als Vampir, der sich über die Fotos der vier Geiseln beugt. Darauf prangte der Schriftzug: “Der Kriegsverbrecher Netanjahu & seine Nazi-Armee haben sie mit Raketen aus zionistischen Kampfflugzeugen getötet.”
Auf die Übergabe der sterblichen Überreste der vier Geiseln soll am Samstag die Freilassung von sechs lebenden Geiseln folgen. Im Gegenzug sollen erneut Hunderte palästinensische Gefangene – vermutlich Frauen und Minderjährige – aus israelischer Haft freikommen. Sie waren während des Krieges von den israelischen Streitkräften im Gazastreifen gefangengenommen worden.
Im Rahmen der ersten Phase des Waffenstillstandsabkommens erklärte sich die Hamas bereit, 33 Geiseln im Austausch gegen fast 2000 palästinensische Gefangene und Häftlinge freizulassen. Bisher wurden 19 israelische Geiseln übergeben, außerdem wurden fünf Thailänder im Rahmen einer außerplanmäßigen Übergabe zurückgebracht.
(Bericht von: James Mackenzie, Jana Choukeir; geschrieben von Sabine Ehrhardt, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)