Berlin (Reuters) – Top-Ökonomen und führende Verbände fordern nach der Bundestagswahl eine schnelle Regierungsbildung und wirtschaftliche Reformen.
“Oberste Priorität sollte eine rasche Regierungsbildung haben, um eine Führungsrolle in Europa übernehmen zu können”, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft, Monika Schnitzer, der Nachrichtenagentur Reuters. Die Äußerungen von US-Präsident Donald Trump und dessen Vize JD Vance hätten deutlich gemacht, dass sich Deutschland und Europa im militärischen Ernstfall nicht mehr auf eine Unterstützung durch die USA verlassen könnten. “Man kann nur hoffen, dass man sich angesichts der sicherheits- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen rasch und konstruktiv auf einen Koalitionsvertrag einigt, der das Land nach vorne bringt”, sagte Schnitzer.
DIW-Präsident Marcel Fratzscher fordert die möglichen Koalitionspartner CDU/CSU und SPD dazu auf, jetzt ihre Fehden beizulegen und sich an den Koalitionsvertrag zu machen. “In einer Welt eskalierender Krisen muss Deutschland endlich aus der politischen und wirtschaftlichen Lähmung herauskommen”, sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erwartet, dass eine künftige Koalition von Union und SPD sich auf mehr Geld für die Infrastruktur verständigen wird. “Das wäre gut für die Unternehmen”, sagte Krämer. Aber Union und SPD hätten in den meisten anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik deutlich unterschiedliche Meinungen – etwa in der Steuer-, Sozial- und Klimapolitik. “Das dämpft die Aussicht auf einen echten Neustart in der Wirtschaftspolitik, der nach fünfjähriger Stagnation des Bruttoinlandsprodukts dringend notwendig wäre”, sagte Krämer.
Aufs Tempo drückt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). “Die deutsche Wirtschaft braucht sehr schnell eine handlungsfähige neue Bundesregierung mit stabiler Mehrheit in der demokratischen Mitte”, sagte BDI-Präsident Peter Leibinger. “Der Entscheidungs- und Handlungsstau in vielen für die Wirtschaft existenziellen Fragen wie etwa des Bürokratierückbaus, staatlichen Investitionen, der Energieversorgung und der Sicherheitspolitik gehört dringend aufgelöst.” Je länger die Unsicherheit andauere, desto mehr zögerten Unternehmen und Verbraucher mit Investitionen und Käufen, die Wirtschaft stagniere und das Land werde geschwächt.
Der Außen- und Großhandelsverband BGA fordert eine nationale Kraftanstrengung, um die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen. “Wir alle, auch der deutsche Mittelstand, müssen hier einen Beitrag leisten”, sagte BGA-Präsident Dirk Jandura. Auch mit Blick auf die internationale Lage bedürfe es einer handlungsfähigen Bundesregierung. “Der Gegenwind aus den USA ist stärker geworden – darauf müssen wir reagieren”, sagte Jandura. Um im Handelskonflikt mit den USA und China zu bestehen, “müssen wir geschlossen und mit deutlicher Stimme auftreten”. Notwendig sei eine klare Haltung für offene Handelswege und neue Freihandelsabkommen. “Für ewiges Zaudern fehlt uns die Zeit, denn die Welt da draußen wartet nicht auf uns”, sagte der BGA-Präsident.
Deutschland braucht auch nach den Worten von Bankenpräsident Christian Sewing eine handlungsfähige und handlungswillige Regierung – “und zwar schnell”. Die Herausforderungen seien gewaltig. “Die Wirtschaft braucht dringend einen Neustart mit grundlegenden Reformen”, sagte der Präsident des Bankenverbands und Chef der Deutschen Bank. “Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit müssen im Mittelpunkt der nächsten Legislaturperiode stehen, damit Deutschland für Unternehmen wie für Investoren ein attraktiver Standort bleibt.”
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)