Berlin (Reuters) – Die Aussage von CDU-Chef Friedrich Merz, dass der mit einem internationalen Haftbefehl belegte israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Deutschland ohne Konsequenzen besuchen könnte, hat Kritik ausgelöst.
Der Den Haager Gerichtshof betonte, es sei nicht Sache von Mitgliedstaaten, die Entscheidungen des Gerichts einseitig zu beurteilen. “Die Unabhängigkeit des IStGH ist dabei von zentraler Bedeutung, und wir respektieren seine Verfahrensabläufe sowie die Entscheidungen seiner Organe. Dies gilt ausnahmslos”, sagte SPD-Außenpolitiker Nils Schmid der Nachrichtenagentur Reuters. Allerdings fügte er hinzu, dass “das Gebot kluger Diplomatie” erfordere, dass die Bundesregierung “geeignete Mittel und Wege finden wird, auch in Zukunft enge Beziehungen zur israelischen Regierung zu pflegen, ohne die Autorität des IStGH zu untergraben”.
Netanjahu hatte Merz am Sonntag zu dessen Wahlsieg gratuliert. Am Montag verkündete sein Büro, dass Merz dabei eine Einladung ausgesprochen habe – trotz der “skandalösen Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, den Ministerpräsidenten als Kriegsverbrecher zu bezeichnen”. Der IStGH hatte den rechtskonservativen Politiker dafür verantwortlich gemacht, den Krieg im Gazastreifen gegen die radikal-palästinensische Hamas-Bewegung mit ungerechtfertigter Härte geführt zu haben. Er weist dies zurück. Deutschland gehört zu den Unterzeichnern des Statuts des Gerichtshofs, müsste sich eigentlich an dessen Vorgaben halten und gilt als Verfechter der Autorität internationaler Organisationen und des Völkerrechts.
Merz betonte am Montag in Berlin, er habe Netanjahu in dem Telefonat zugesagt, dass man für den Fall eines Besuchs “Mittel und Wege finden werde, dass er Deutschland besuchen und auch wieder verlassen kann, ohne dass er in Deutschland festgenommen worden ist”, sagte der Gewinner der Bundestagswahl und wahrscheinliche nächste Bundeskanzler am Montag in Berlin. “Ich halte es für eine ganz abwegige Vorstellung, dass ein israelischer Ministerpräsident die Bundesrepublik Deutschland nicht besuchen kann”, betonte Merz.
Der Den Haager Gerichtshof wies darauf hin, dass auch Deutschland seit dem Römischen Statut verpflichtend sei, die Entscheidungen anzuerkennen und umzusetzen. Alle 27 EU-Staaten haben das Statut unterzeichnet. Israel erkennt den Gerichtshof dagegen ebenso wenig wie die USA an.
Der SPD-Politiker Schmid deutete einen Ausweg an und verwies darauf, dass Israel als demokratischer Rechtsstaat “mit einer starken, unabhängigen Justiz”, in der Lage sei, Vorwürfe hinsichtlich möglicher Völkerrechtsverstöße selbst aufzuklären. Dies steht im Einklang mit dem Komplementaritätsprinzip des IStGH, das die Zuständigkeit nationaler Gerichte betont, wenn diese entsprechende Verfahren durchführen. “Diese Möglichkeit steht den israelischen Behörden jederzeit und unverändert offen.” Die Union und die SPD stehen vor der Aufnahme von Sondierungsgesprächen für die Bildung einer neuen Bundesregierung.
Die Linkspartei nannte die Einladung von Merz dagegen eine “Katastrophe” und warf dem CDU-Chef “Doppelmoral” vor. Deutschland habe immer darauf bestanden, dass internationale Haftbefehle umgesetzt werden müssten, sagte Linken-Co-Chef Jan van Aken. “Wenn Wladimir Putin nach Deutschland kommt, dann muss dieser Haftbefehl umgesetzt werden. Das Gleiche gilt für Netanjahu”, sagte er.
(Bericht von Andreas Rinke, James Mackenzie, Sarah Marsh; redigiert von Birgit Mittwollen. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)