Berlin (Reuters) – Union und SPD werben für ihr riesiges Finanzpaket, um die Infrastruktur zu modernisieren und Deutschland aufzurüsten.
Um dafür die Unterstützung der Grünen zu bekommen, waren am Mittwoch Gespräche mit der Fraktionsspitze im Bundestag angesetzt. In einer ersten Reaktion hatten sich die Grünen zurückhaltend geäußert. Sie werden benötigt, um im alten Bundestag noch schnell in der nächsten Woche eine Zwei-Drittel-Mehrheit zustande zu bekommen. Die Linke will die Verfassungsmäßigkeit der Pläne überprüfen.
Union und SPD hatten nach ersten Sondierungen zur Bildung einer schwarz-roten Regierung am Dienstagabend mitgeteilt, einen 500 Milliarden Euro schweren Sondertopf zur Modernisierung der Infrastruktur einrichten zu wollen. Außerdem soll die Schuldenbremse gelockert werden, um mehr Geld in die Verteidigung stecken zu können. Dafür sollen die Mehrheiten aus dem alten Bundestag genutzt werden. Im neugewählten Bundestag haben AfD und Linke eine Sperrminorität von mehr als einem Drittel der Abgeordneten.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit geht davon aus, dass die Gesetzesänderung zur Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben von den Bundestagsfraktionen eingebracht wird. Dies würde die nötige Zustimmungs- und Beratungszeit im Verfahren deutlich verkürzen.
Die Grünen wollen sich laut Co-Fraktionschefin Britta Haßelmann die Vorschläge von Union und SPD in Ruhe anschauen. Sie setzen sich für eine umfangreichere Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse ein als bislang geplant ist. Sie warfen Union und SPD vor, nicht in die Gespräche eingebunden gewesen zu sein. Die Fraktionsspitze der Grünen wollte sich am Nachmittag äußern.
LINKE FÜRCHTEN BLANKOSCHECK FÜR AUFRÜSTUNG
Die Linke zweifelte die Verfassungsmäßigkeit des Finanzpakets an. Die bemühte Dringlichkeit sei vorgeschoben, teilten die Spitzen der Partei und Linken-Fraktion im Bundestag mit. “Es geht ihnen nur darum, die neu gewählten Verhältnisse im Bundestag zu umgehen. Das missachtet den Willen der Wählerinnen und Wähler. Wir prüfen noch, ob eine solche Abstimmung über mehrere Hundert Milliarden im gerade abgewählten alten Bundestag überhaupt verfassungskonform ist.” Die Linke betonte, für die Aufhebung der Schuldenbremse für Investitionen zu sein. Es dürfe aber keinen Blankoscheck für Aufrüstung geben. “Das ist ein beispielloser und äußerst bedenklicher Vorgang.” Auch die AfD-Fraktion will mögliche Beschlüsse auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr ließ grundsätzliche Bereitschaft erkennen, eine Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse zu unterstützen. Das Infrastruktur-Sondervermögen – ein schuldenfinanzierter Nebenhaushalt – ist für die FDP aber kein gangbarer Weg. Die Liberalen mahnten strukturelle Reformen an. Mit den Plänen dürfte die im internationalen Vergleich sehr niedrige Staatsverschuldung deutlich steigen. “Deutschlands Schuldenquote könnte 2034 die 100-Prozent-Marke überschreiten”, sagte Ökonom Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Aktuell liegt sie bei etwa 64 Prozent.
An der Börse kamen die Pläne dennoch gut an: Der Dax kletterte am Mittwoch wieder über die 23.000-Punkte-Marke, die er zu Wochenbeginn erstmals geknackt hatte. Angetrieben wurde der deutsche Leitindex von einem Kursfeuerwerk bei Bau- und Rüstungswerten.
SÖDER: OHNE KNALLHARTE ASYLPOLITIK KEINE KOALITION
Wegen des riesigen Finanzpakets ist CDU-Chef Friedrich Merz, der vermutlich der nächste Kanzler wird, unter Druck, bei anderen Themen eine stärkere Handschrift der Union durchzusetzen. CSU-Chef Markus Söder, der Teil des Sondierungsteams der Union ist, machte beim Politischen Aschermittwoch in Passau eine Kurswende in der Asylpolitik zur Voraussetzung einer Koalition mit der SPD. “Wir werden eine gute Koalition nur machen können, wenn wir die Migrationsfrage grundlegend angehen und einen knallharten Kurs fahren an der Stelle. Ohne eine Änderung gibt es keinen Segen für eine Koalition.”
Die deutsche Wirtschaft begrüßte das Finanzpaket. “Das ist ein wichtiges Signal, um die gefährliche Abwärtsspirale aus ausbleibenden Investitionen und Wachstumsschwäche zu stoppen und verteidigungsfähig zu werden”, sagte Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Tanja Gönner. Dies sei mehr als ein Konjunkturpaket. “Es gibt der Wirtschaft die Möglichkeit, über zehn Jahre hinweg überfällige Investitionen in die Zukunft nachzuholen.” Das gebe den Unternehmen in unsicheren Zeiten endlich Verlässlichkeit.
(Bericht von Christian Krämer, Holger Hansen, Andreas Rinke, Alexander Ratz und Rene Wagner, redigiert von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)