Berlin (Reuters) – Die Einigung von Union und SPD auf ein milliardenschweres Finanzpaket stößt bei vielen Ökonomen auf Zustimmung – sorgt bei einigen aber auch für Sorgenfalten mit Blick auf die Staatsfinanzen.
“Die Einigung der Sondierer ist ein Gamechanger, ein wuchtiges und gutes Paket”, sagte der Professor für International Economics an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Jens Südekum, der Nachrichtenagentur Reuters. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), hofft auf einen Konjunkturschub: “Wenn das so gelingt, dann dürfte die Stagnation der deutschen Wirtschaft jetzt schnell überwunden sein”, sagte er. “Deutschland ist wieder wirtschaftlich und militärisch handlungsfähig.”
Die Einigung sieht vor, dass alle Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei der Berechnung der Schuldenbremse ausgenommen werden. “Ein extrem wichtiger Schritt für die Sicherheit in Deutschland und Europa”, sagte der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick. Es sei sinnvoll, die Verteidigungsinvestitionen teilweise von der Schuldenbremse auszunehmen. “Es macht den Staat auch in künftigen Krisen handlungsfähig.” Südekum fügte hinzu: “Die Freistellung der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse erlaubt einen dauerhaften Aufbau der militärischen Fähigkeiten.”
VERLIERT DEUTSCHLAND SEINEN STATUS ALS SICHERER HAFEN?
Zudem soll ein neues Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastrukturausgaben für die Dauer von zehn Jahren geschaffen werden. Der ehemalige Wirtschaftsweise Lars Feld warnte auf dem Kurznachrichtendienst X: “Heute ist der Tag, ab dem die Schuldenbremse Geschichte ist. Deutschland verliert seine Funktion als sicherer Hafen für Anleihegläubiger. Zinsen und Inflation werden davon nicht unberührt bleiben.”
Die Beschlüsse laufen Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer zufolge darauf hinaus, dass der Schuldenstand von aktuell 63,6 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den kommenden Jahren kräftig steigen wird – “allein wegen des neuen Sondervermögens um etwa zehn Prozentpunkte”. Sollten die Ausgaben für Verteidigung auf 3,5 Prozent des BIP steigen, würde der Schuldenstand in jedem Jahr um zusätzliche 2,5 Prozentpunkte zulegen. “In zehn Jahren könnte die gesamtstaatliche Schuldenquote auf 90 Prozent gestiegen sein, wobei das auch von der Inflation abhängt und insofern nicht einfach zu prognostizieren ist”, sagte Krämer. “Aber Anleger dürften für deutsche Staatsschulden tendenziell höhere Risikoprämien fordern. Mit Blick auf die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen dürfte das Hoch noch nicht erreicht sein.”
Ökonom Südekum zufolge ist es mit den Beschlüssen allein nicht getan. “Was jetzt wichtig ist: Das viele Geld muss auch tatsächlich auf die Straße kommen und in die richtigen Projekte fließen”, sagte Südekum. Im Infrastrukturbereich müsse das Sondervermögen von einer Beschleunigung der Genehmigungsverfahren begleitet werden. “Insgesamt geht es darum, ein glaubwürdiges Signal in die Privatwirtschaft zu senden, dass der Staat jetzt Ernst macht mit der Investitionsoffensive”, sagte der Wissenschaftler. “Nur dann werden Bau- und Handwerksbetriebe ihre Kapazitäten aufstocken.” Südekum warnte davor, dass im Verteidigungsbereich das Geld nicht für veraltete Ausrüstung ausgegeben werden dürfe. Stattdessen müsse neueste Technik im Vordergrund stehen. “Dann sind die technologiepolitischen Impulse und auch die Wachstumseffekte viel stärker.”
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)