Berlin (Reuters) – Die Wehrbeauftragte des Bundestags schlägt angesichts des Personalmangels bei der Bundeswehr und einer verstärkten Bedrohung Deutschlands Alarm.
Trotz der Anwerbeoffensive seit dem russischen Überfall auf die Ukraine bleibe es das zentrale Problem, sagte Eva Högl am Dienstag bei der Vorstellung des Wehrberichts 2024. “Die Truppe ist an der Belastungsgrenze.” So sei die Zahl der aktiven Soldaten nicht gestiegen, sondern sogar um 340 auf rund 181.200 gesunken. Ein Grund sei der wachsende Anteil von Soldaten, die aufgrund ihres Alters aus dem Dienst ausschieden. Bei den Unteroffizieren und Offizieren seien knapp ein Fünftel der Posten unbesetzt, bei den Mannschaften mit 28 Prozent sogar mehr als ein Viertel. Dem Bundeswehr-Ziel, die Personalstärke auf über 200.000 zu steigern, sei man nicht näher gekommen. Das Ziel war bereits von 2025 auf 2031 verschoben worden.
Angesichts von Zweifeln am Nato-Engagement der USA und deren weiterer Unterstützung der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland ist die Stärkung der Bundeswehr auch in den Fokus bei den Gesprächen von Union und SPD zur Bildung einer neuen Regierung gerückt. Eine Ausnahme von den Vorgaben der Schuldenbremse soll ihre Finanzierung sichern. Das bereits 2022 beschlossene 100-Milliarden-Paket ist bereits zu 82 Prozent aufgebraucht. Deutschland erreichte so das Nato-Ziel, wonach mindestens zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgegeben werden sollen.
Wegen der Personal-Knappheit wird auch ein Wiederaufleben der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht diskutiert. Högl unterstützte das Konzept von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), das auf Freiwilligkeit setzt. Es sieht vor, dass Männer im wehrfähigen Alter angeschrieben werden und antworten müssen. Frauen müssen dies nicht tun. Wegen des Ampel-Aus wurde es nicht mehr umgesetzt. Högl sagte aber, Männer und Frauen müssten gleich behandelt werden. “Ich halte das für zeitgemäß.” Dafür müsste aber das Grundgesetz geändert werden, wofür es eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht. Selbst mit den Grünen haben Union und SPD diese im Bundestag nicht. Högl betonte aber, die Personalprobleme seien nicht über die Wehrpflicht allein zu lösen.
Parallel setzt sich Högl für ein gesellschaftliches Pflichtjahr für Frauen und Männer ein, das auch bei der Bundeswehr geleistet werden kann. Möglich sei auch eine Verbindung vom Zugang zu deutscher Staatsbürgerschaft und der Wehrpflicht. Sie sei hier offen, sagte sie ohne ins Detail zu gehen. In Umfragen hat sich nur gut ein Drittel bereit gezeigt, Deutschland mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.
Grund für die Personalprobleme sei auch, dass ein Viertel der Rekruten die Armee bereits in der Probezeit wieder verlassen. Dies habe viele Gründe: “Das größte Problem ist die Langeweile”, sagte sie. Dies sei wiederum häufig auf den Mangel an Ausbildern oder Ausrüstung zurückzuführen.
MATERIALMANGEL VOR ALLEM BEI FLUGABWEHR
Denn neben dem Personal mangelt es Högl zufolge der Bundeswehr auch an Material und Waffen. Dies sei nur teilweise auf die Lieferungen an die Ukraine zurückzuführen. Es mangele vor allem an Drohen und dem Schutz vor diesen. “Die Flugabwehr ist das A und O”, sagte sie. Auch bei der Infrastruktur gebe es große Investitions-Lücken: “Daher befinden sich Kasernen und Liegenschaften immer noch teilweise in einem desaströsen Zustand”, heißt es im Bericht.
Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages soll die Interessen der Soldatinnen und Soldaten vertreten und deren Anliegen prüfen. Sie kontrolliert Gesetze und Vorschriften innerhalb der Bundeswehr und berichtet über den Zustand der Truppe.
(Bericht von: Markus Wacket, redigiert von redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)