Weg frei für Bundestagsbeschluss über Milliarden-Schuldenpaket

– von Holger Hansen

Berlin (Reuters) – Das von Union und SPD geplante Schuldenpaket von mehreren hundert Milliarden Euro als Grundlage für die Bildung einer gemeinsamen Bundesregierung hat eine weitere Hürde genommen.

Der Haushaltsausschuss des Bundestages beschloss am Sonntag mit den Stimmen von Union, SPD und Grünen einen Gesetzentwurf für mehrere Grundgesetzänderungen. Der Ausschuss empfahl dem Bundestag, das Paket am Dienstag mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit zu verabschieden. Der Bundesrat könnte am 21. März zustimmen. Dafür sind aber auch die Stimmen aus Bayern erforderlich. Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder muss dafür noch die Freien Wähler ins Boot holen. Am Montag ist eine Krisensitzung mit dem Koalitionspartner geplant. Söder zeigte sich aber optimistisch: “Gehen Sie mal davon aus, dass Bayern am Ende zustimmen wird”, sagte er am Sonntagabend im ZDF.

In einer viereinhalbstündigen Sondersitzung beschloss der Haushaltsausschuss noch in der Zusammensetzung des alten Bundestages einen Gesetzentwurf, auf den sich Union, SPD und Grüne am Freitag in den Grundzügen verständigt hatten. “Wir haben heute den Weg freigemacht für Zukunftsinvestitionen”, sagte der scheidende Grünen-Chefhaushälter Sven-Christian Kindler der Nachrichtenagentur Reuters. “Jetzt können zusätzliche Investitionen in die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045, die Modernisierung der Infrastruktur und die Erhöhung unserer Sicherheit schnell angegangen werden können.”

Unions-Fraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz äußerte sich mit Blick auf die entscheidende Abstimmung im Bundestag am Dienstag zuversichtlich, dass die erforderliche Zweidrittelmehrheit dann zustande kommen werde. “Ich denke ja, es wird knapp, aber es wird gehen”, sagte er in der ARD. Es gebe aber in allen drei Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Grünen noch Überzeugungsarbeit zu leisten.

Auch Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge ist optimistisch. “Ich habe sehr positives Feedback aus der Fraktion bekommen”, sagte sie in der ARD, verwies aber darauf, dass die interne Abstimmung dort erst am Montag ist. Die Grünen hatten viele Jahre auf eine Lockerung der Schuldenbremse gedrungen, die jetzt durch einen Kurswechsel von CDU und CSU möglich wurde. Obwohl die Grünen künftig wohl in der Opposition sitzen, konnten sie Änderungen an dem ursprünglichen Vorschlag von Union und SPD durchsetzen, da ihre Stimmen benötigt werden.

Kritik kam vom FDP-Haushälter Otto Fricke: “Es wird immer deutlicher, auch wenn die Bundesregierung noch längst nicht alle Zahlen liefern kann, dass es sich bei dieser Grundgesetzänderung um eine Beerdigung zweiter Klasse für die Schuldenbremse handelt”, sagte Fricke Reuters. Die Links-Fraktion warf Union, SPD und Grünen vor, sie hätten Anträge auf Vertagung oder zusätzliche Anhörungen unterbunden. Es gehe um Änderungen “des Grundgesetztes mit einem nie dagewesenen Finanzvolumen und der größten Aufrüstung in der Geschichte der Bundesrepublik”.

KEIN KREDITDECKEL MEHR FÜR VERTEIDIGUNGSAUSGABEN

Größter Punkt ist die Lockerung der Schuldenbremse für Ausgaben für Verteidigung wie auch für Zivilschutz, Nachrichtendienste und die Militärhilfe für die Ukraine. Dafür gibt es keine Kreditobergrenze mehr. Ausgaben dafür werden nur bis zur Höhe von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf die Schuldenbremse angerechnet. Das wären auf der Grundlage des BIP für 2024 rund 43 Milliarden Euro. Damit verschaffen sich Union und SPD unbegrenzten Kredit-Spielraum für diese Aufgaben.

Zudem wird der Bund ermächtigt, aus neuen Schulden für zwölf Jahre einen Ausgabentopf von bis zu 500 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz aufzulegen. Davon sollen jeweils 100 Milliarden an den Klima- und Transformationsfonds (KTF) sowie an die Länder fließen.

BAYAZ: “STARKER EINGRIFF IN UNSEREN FÖDERALISMUS”

Darüber hinaus gibt es auch für die Länder künftig die Möglichkeit der strukturellen Neuverschuldung, und zwar in gleicher Höhe wie laut Schuldenbremse für den Bund. Alle Länder zusammen dürfen neue Schulden von bis zu 0,35 Prozent des BIP machen. Das ist etwa eine Summe von 15 Milliarden Euro.

Zugleich werden mit der geplanten Grundgesetzänderung rechtliche Regelungen auf Länderebene aufgehoben, die einer Ausschöpfung der neuen Kreditgrenze entgegenstünden. In den meisten Ländern wären andernfalls verfassungsändernde Mehrheiten erforderlich, um deren Schuldenbremsen zu lockern.

Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz sagte Reuters, er könne nachvollziehen, dass der Bund die Änderung der Schuldenbremse in den Ländern möglichst einheitlich vollziehen wolle. “Zum Teil wäre eine Änderung in manchen Bundesländern sonst mit erheblichem Aufwand oder schwierigen politischen Gesprächen verbunden”, räumte der Grünen-Politiker ein. “Es bleibt trotzdem ein starker Eingriff in unseren Föderalismus.”

ZWEI-DRITTEL-MEHRHEIT IM BUNDESRAT NOCH OFFEN

Für die Grundgesetzänderungen haben Union, SPD und Grüne im Bundestag eine ausreichende Mehrheit. Es wird mit einzelnen Abweichlern in den eigenen Reihen gerechnet, zumal der Bundestag in alter Zusammensetzung entscheidet und sich ausscheidende Abgeordnete möglicherweise weniger an die Fraktionsdisziplin gebunden fühlen. Union, SPD und Grüne verfügen zusammen aber über 31 Abgeordnete mehr als nötig und rechnen mit Zustimmung.

Im Bundesrat ist die Zwei-Drittel-Mehrheit indes noch nicht sicher. Die Freien Wähler in Bayern haben Vorbehalte angemeldet. Der Koalitionsausschuss von CSU und Freien Wählern soll am Montag tagen und sicherstellen, dass Bayern seine sechs Stimmen in der Länderkammer für die Grundgesetzänderungen abgibt. Andernfalls wäre die Zwei-Drittel-Mehrheit gefährdet.

(Mitarbeit: Alexander Ratz und Jörn Poltz. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

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