Proteste gegen Verhaftung von Imamoglu – “Als Nation aufstehen”

– von Ece Toksabay und Ali Kucukgocmen

Istanbul (Reuters) – Nach der Verhaftung des populären Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu nehmen die Proteste in der Türkei zu.

Am Donnerstag wurden trotz eines Versammlungsverbots, Polizeisperren und Dutzender Festnahmen wegen Social-Media-Beiträgen Tausende Menschen vor allem in der Metropole am Bosporus zu Demonstrationen erwartet. “Wir müssen als Nation gegen dieses Übel aufstehen”, schrieb Imamoglu auf der Plattform X. Er rief auch Mitglieder der Justiz und von Erdogans Regierungspartei auf, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.

“Diese Ereignisse gehen über unsere Parteien und politischen Ideale hinaus”, schrieb Imamoglu. “Der Prozess betrifft jetzt unser Volk, nämlich Ihre Familien. Es ist an der Zeit, unsere Stimme zu erheben.” Imamoglu, der wichtigste politische Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdogan, war am Mittwoch wegen Vorwürfen der Korruption und der Unterstützung einer Terrorgruppe verhaftet worden. Die Opposition wertete dies als Putschversuch. Das Vorgehen gegen Imamoglu ist vorläufiger Höhepunkt einer monatelangen juristischen Kampagne gegen Oppositionelle im ganzen Land.

Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und warnt davor, Erdogan mit Imamoglus Festnahme in Verbindung zu bringen. Sie verhängte ein viertägiges Versammlungsverbot und schränkte den Zugang zu einigen sozialen Medien ein. Am Donnerstag sperrte die Polizei in Istanbul Straßen ab und postierte Wasserwerfer in der Nähe der Polizeistation, in der Imamoglu festgehalten wird. “Sie haben unseren Bürgermeister, den wir mit unseren Stimmen gewählt haben, überstürzt festgenommen”, sagte Ali Izar, ein Oppositionsanhänger auf dem Weg zur Arbeit. “Ich halte das nicht für eine demokratische Praxis und verurteile es.”

“DAS VOLK WIRD SEINE ANTWORT GEBEN”

Schon am Mittwoch waren Tausende von Demonstranten in Istanbul, Ankara und anderen Städten auf die Straße gegangen. Menschenmengen skandierten regierungsfeindliche Parolen und hängten am Hauptgebäude der Stadtverwaltung in Istanbul Transparente von Imamoglu und dem Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk neben türkischen Flaggen auf. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) will Imamoglu zu ihrem nächsten Präsidentschaftskandidaten machen. In einigen Meinungsumfragen liegt er vor Erdogan.

“Das Volk wird wieder seine Antwort geben”, sagte ein weiterer Imamoglu-Anhänger, der 34-jährige Yusuf Demirci, in Istanbul. “Wie Sie gestern gesehen haben, sind alle auf der Straße und auf den Plätzen. Die Plätze und die Wahlurne werden das Ergebnis sein. Ich sage, der Gerechte wird gewinnen.”

Innenminister Ali Yerlikaya sagte am Donnerstag, dass 37 Personen festgenommen worden seien, weil sie “provokative Social-Media-Beiträge” veröffentlicht hätten, die zu Straftaten und Hass aufgestachelt hätten. Zudem seien 261 Social-Media-Konten identifiziert worden, darunter 62 im Ausland. Die Behörden beschlagnahmten auch ein Bauunternehmen, an dem Imamoglu beteiligt ist, wie die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft mitteilte.

“SEHR, SEHR SCHLECHTES ZEICHEN”

Zusammen mit Imamoglu wurden 105 Menschen festgenommen, größtenteils Mitarbeiter der Stadtverwaltung von Istanbul. Neben Korruption wird Imamoglu Unterstützung der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen. Im Februar hatte die PKK als Reaktion auf den Aufruf ihres inhaftierten Anführers Abdullah Öcalan zur Entwaffnung einen Waffenstillstand erklärt. Dies markierte einen wichtigen Schritt zur Beendigung eines Aufstands, der mehr als 40.000 Todesopfer gefordert hat. Die Co-Vorsitzende der pro-kurdischen DEM-Partei, Tulay Hatimlogullari, erklärte am Donnerstag, die Festnahme Imamoglu könne diesen Prozess gefährden.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz kritisierte das Vorgehen gegen Imamoglu scharf. “Wir haben uns in den letzten Jahren sehr darum bemüht, die Beziehung zwischen Europa und der Türkei weiter zu verbessern”, sagte Scholz in Brüssel vor Beginn des EU-Gipfels. “Deshalb ist die Verhaftung eines so zentralen Oppositionspolitikers, des Bürgermeisters von Istanbul, ein sehr, sehr schlechtes Zeichen.”

(Mitarbeit Huseyin Hayatsever, Tuvan Gumrukcu, Andreas Rinke; Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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