Mehr als 1100 Festnahmen in der Türkei bei Protesten für Imamoglu

– von Huseyin Hayatsever und Ali Kucukgocmen

Ankara (Reuters) – Die türkischen Behörden haben nach Angaben der Regierung seit Beginn der Proteste gegen die Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoglu vor fünf Tagen landesweit 1133 Menschen festgenommen.

123 Polizisten seien zudem bislang bei Ausschreitungen verletzt worden, zog Innenminister Ali Yerlikaya am Montag eine vorläufige Bilanz. Die Regierung werde nicht zulassen, dass “die Straßen terrorisiert werden”. Unter den Festgenommenen befinden sich nach Angaben der türkischen Journalistengewerkschaft neun Reporter, die über nächtliche Proteste in mehreren Städten berichtet hatten.

Der Grund für die Festnahme der Journalisten war zunächst unklar. Unter den Festgenommenen sei auch ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP, teilte die Gewerkschaft in einem Beitrag auf der Plattform X mit. In Berlin äußerte sich ein Sprecher des Auswärtigen Amts besorgt über die Entwicklungen. Der türkische Botschafter sei zu einem Gespräch im Auswärtigen Amt gewesen, teilte der Sprecher mit. “Wir beobachten die Entwicklung in der Türkei im Augenblick mit großer Sorge”, sagte auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit. “Die jüngsten Entwicklungen sind ein schlechtes Zeichen für die Demokratie in der Türkei”, sagte er.

Die Festnahme von Imamoglu, dem wichtigsten politischen Rivalen von Präsident Recep Tayyip Erdogan, am vergangenen Mittwoch hat die größten Straßenproteste in der Türkei seit mehr als einem Jahrzehnt ausgelöst. Am Sonntag verhängte ein Gericht Untersuchungshaft gegen Imamoglu wegen Korruptionsvorwürfen, die er bestreitet. Trotz Versammlungsverboten in vielen Städten gingen die meist friedlichen Demonstrationen gegen die Regierung am Sonntag die fünfte Nacht in Folge weiter, an denen Hunderttausende teilnahmen.

Die wichtigste Oppositionspartei CHP hat zu Protesten gegen die Gerichtsentscheidung zur Verhaftung des Bürgermeisters aufgerufen, die sie als politisiert und undemokratisch bezeichnet. Imamoglu hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als “unvorstellbare Anschuldigungen und Verleumdungen” zurückgewiesen und ebenfalls zu landesweiten Protesten aufgerufen. Trotz der Verhaftung war Imamoglu am Sonntag zum Präsidentschaftskandidaten der CHP gekürt worden. Rund 15 Millionen Stimmen wurden zu seiner Unterstützung abgegeben.

“GRUNDLOS INS GEFÄNGNIS GESTECKT”

Die Nachricht von Imamoglus Verhaftung war am Montag auf den Titelseiten der türkischen Zeitungen zu lesen. Oppositionsmedien deuteten an, der Bürgermeister sei verhaftet worden, weil er der glaubwürdigste Herausforderer Erdogans sei. Reguläre Präsidentenwahlen in der Türkei sind zwar erst für 2028 angesetzt. Erdogan könnte sie jedoch vorziehen, falls er wieder antreten will. Vergangene Woche sagte Erdogan, die Regierung werde “die Störung der öffentlichen Ordnung” nicht hinnehmen. Die Regierung bestreitet, dass die Ermittlungen politisch motiviert seien, und verweist auf die Unabhängigkeit der Gerichte.

Der Sprecher von Erdogans regierender AK-Partei, Omer Celik, sagte, der Aufruf der CHP zu Protesten ziele darauf ab, die Unzulänglichkeiten der Opposition zu vertuschen. “Demokratischer Protest ist ein (Grund-) Recht, aber die Sprache, die die CHP verwendet, ist nicht die Sprache des demokratischen Protests.”

Anhänger des Bürgermeisters erklärten am Montag dagegen, die Inhaftierung Imamoglus zeige, dass es in der Türkei keine Gerechtigkeit gebe. “Ich denke, es geschieht Imamoglu Unrecht. Sie haben den Mann grundlos ins Gefängnis gesteckt”, sagte der 22-jährige Bauarbeiter Adem Bali. Die 50-jährige arbeitslose Cigdem Tatlica sagte, sie glaube nicht, dass es in der Türkei Gerechtigkeit gebe. “Dieses System kann so nicht weitergehen.” Die CHP will die Proteste nach Angaben ihres Vorsitzenden Özgür Özel so lange fortsetzen, bis Imamoglu freigelassen wird.

(Mitarbeit: Andreas Rinke in Berlin; Bearbeitet von Alexander Ratz; Redigiert von Christian Rüttger; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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