Solidaritätszuschlag weiter zulässig – Union wirbt für Abschaffung

– von Ursula Knapp und Holger Hansen –

Karlsruhe, 26. Mrz (Reuters) – Der Solidaritätszuschlag bei der Steuer ist verfassungsgemäß. Das Bundesverfassungsgericht wies am Mittwoch die Klagen sechs ehemaliger FDP-Bundestagsabgeordneter zurück.

“Der Bund verzeichnet weiterhin einen wiedervereinigungsbedingten, zusätzlichen Finanzierungsbedarf”, sagte Richterin Christine Langenfeld bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Die als Soli bekannte Ergänzungsabgabe war bei der Einführung Anfang der 90er Jahre mit den Kosten der Wiedervereinigung begründet worden. Die Kläger hatten argumentiert, mit dem Auslaufen des Solidarpakts II 2019 sei die Abgabe verfassungswidrig geworden.

Politiker von CDU und CSU, aber auch Vertreter der Wirtschaft hielten am Mittwoch an ihrer Forderung nach einer Abschaffung des Soli fest, der 2024 gut 12,6 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt spülte. Dies dürfte auch die Verhandlungen von Union und SPD zur Bildung einer Bundesregierung beeinflussen. Ein neues Milliardenloch im Etat ist damit zwar vorerst abgewendet. Die Union forderte im Wahlkampf aber die Soli-Abschaffung als Teil einer Steuersenkung. Die SPD will für Spitzeneinkommen und die Wirtschaft daran festhalten.

BDI: HERBER RÜCKSCHLAG – POLITIK IST AM ZUG

“Das Urteil ist ein herber Rückschlag für die Unternehmen”, erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Jetzt sei die Politik am Zug. Die Abschaffung des Soli gehöre in den Koalitionsvertrag. Der CDU-Wirtschaftsrat ermahnte die eigene Partei, den Soli zu beenden: “Die Union als Wahlgewinner ist mit dem Versprechen angetreten, den Solidaritätszuschlag endlich und endgültig abzuschaffen”, erklärte Generalsekretär Wolfgang Steiger. “Nun erwarten die Wähler, dass dieses Versprechen auch eingelöst wird.”

Unionsfraktionsvizechef Mathias Middelberg machte deutlich, dass eine Soli-Abschaffung bei den Koalitionsverhandlungen nicht vom Tisch ist. Es werde eine steuerliche Entlastung von Unternehmen und Mittelstand benötigt, sagte Middelberg der “Rheinischen Post”. “Ob dies über eine Abschaffung des Solis und/oder eine Unternehmenssteuerreform geschieht, ist Gegenstand der Koalitionsverhandlungen.” Auch der bayerische Finanzminister Albert Füracker (CSU) pochte auf eine Entlastung der Unternehmen.

Bundesfinanzminister Jörg Kukies (SPD) rechnet vorerst weiter mit den Einnahmen aus dem Soli. Das Gericht habe bestätigt, “dass die Erhebung des Solidaritätszuschlags im Einklang steht mit unserer Verfassung und schafft damit Klarheit für die Aufstellung des Bundeshaushalts”.

Dem Gericht zufolge ist die Erhebung des Soli auch seit 2020 und in veränderter Form ab 2021 verfassungsgemäß. Der Zuschlag wird auf die Einkommen-, Kapitalertrag- und die Körperschaftsteuer fällig. Seit 2021 zahlen ihn nur noch Besserverdienende, Unternehmen und Kapitalanleger.

Für etwa 90 Prozent der Steuerpflichtigen ist die Abgabe durch Freigrenzen entfallen. Singles zahlen die Abgabe derzeit ab einem zu versteuernden Einkommen von 73.484 Euro. Für Paare ist der Betrag doppelt so hoch. Die zusätzliche Steuerlast trifft auch die Wirtschaft. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) geht davon aus, dass sie knapp 60 Prozent der Einnahmen aus dem Soli aufbringt.

WEGFALL DES MEHRBEDARFS “DERZEIT NOCH NICHT DER FALL”

Langenfeld verwies darauf, dass eine Ergänzungsabgabe einen finanziellen Mehrbedarf des Bundes zur Erfüllung bestimmter Aufgaben voraussetze. “Der wiedervereinigungsbedingte finanzielle Mehrbedarf des Bundes war bei Erlass des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 mit Wirkung zum 1. Januar 2020 noch nicht in evidenter Weise entfallen”, sagte die Richterin, die die erkrankte Vizepräsidentin und Vorsitzende des Zweiten Senats, Doris König, bei der Verkündung vertrat.

Das Gericht prüfe lediglich, ob die Aufgabe, auf die die Einführung des Solidaritätszuschlags gestützt worden sei, im Jahr 2020 oder danach offensichtlich in keiner Weise mehr einen finanziellen Mehrbedarf des Bundes begründe, sagte Langenfeld: “Dies ist jedenfalls derzeit noch nicht der Fall.”

Das Auslaufen des Solidarpakts II 2019 wertete das Gericht als unerheblich. Dies bedeute nicht, dass der Bund nicht auch danach wiedervereinigungsbedingte Bedarfe der neuen Länder im gesamtstaatlichen Interesse finanziell auszugleichen habe.

Auch einen Gleichheitsverstoß durch die unterschiedliche Steuerpflicht für Besserverdiener konnte das Gericht nicht erkennen. Ebenso wenig beanstandete das Gericht, dass die Freigrenzen nur bei der veranlagten Einkommensteuer und der Lohnsteuer den Großteil der Steuerpflichtigen von der Abgabe befreien. Beim Kapitalertragsteuerabzug und bei der Körperschaftsteuer gelten keinerlei Freigrenzen.

(Redigiert von Thomas Seythal)

tagreuters.com2025binary_LYNXNPEL2P0C5-VIEWIMAGE