EU gegen Schnellschüsse im Handelskrieg – Zeit für Verhandlungen

– von Christian Krämer und Rene Wagner und Philip Blenkinsop

Berlin/Brüssel/Washington (Reuters) – Die EU will sich noch Zeit nehmen, um angemessen auf die jüngsten Sonderzölle von US-Präsident Donald Trump zu reagieren.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte am Montag in Brüssel, die EU sei weiterhin bereit zu Verhandlungen mit den USA, aber auch zu Gegenmaßnahmen. Sie bot an, mit den USA über den Abbau aller Zölle auf Industriegüter sprechen zu wollen. Die Handelsminister der 27 EU-Staaten trafen sich in Luxemburg. Auch sie sind überwiegend für Verhandlungen statt für Schnellschüsse mit einer Eskalation im weltweiten Handelskrieg. In Berlin stimmte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Parteichefs von CDU/CSU und SPD ab, die vermutlich die nächste Regierung unter CDU-Chef Friedrich Merz bilden werden. Dieser will in den laufenden Koalitionsverhandlungen Strukturreformen durchsetzen, um den Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Die USA signalisierten im Zoll-Streit kaum Entgegenkommen.

In Kraft gesetzt haben die USA bereits Sonderzölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl, Aluminium und Autos. Ab Mittwoch soll ein Sonderzoll von 20 Prozent auf nahezu alle Güter aus Europa greifen. Für die bereits betroffenen Branchen gilt dieser aber nicht. Die bisherigen Gespräche mit der US-Regierung waren für die EU schwierig. Handelskommissar Maros Sefcovic nannte seine Gespräche am vergangenen Freitag in Washington “aufrichtig”. Handfeste Ergebnisse gab es aber nicht.

Die neuen Trump-Zölle aus der vergangenen Woche betreffen Sefcovic zufolge europäische Waren im Wert von 380 Milliarden Euro. Die EU will zunächst nur auf US-Waren im Wert von bis zu 28 Milliarden Dollar mit Gegenzöllen reagieren. Die neuen Abgaben würden ab Mitte April und noch mehr ab Mitte Mai eingesammelt, so Sefcovic. Sie beziehen sich auf die US-Zölle auf Stahl und Aluminium, dies hat aber bereits für weiteren Streit gesorgt. So drohte Trump mit Zöllen von 200 Prozent auf Wein und andere Alkoholika, sollte die EU wie geplant 50 Prozent auf Bourbon erheben. Das weitere Vorgehen der EU wird noch erörtert. Eine Antwort wird noch im April erwartet. Insgesamt exportierte die EU 2024 Waren im Wert von 532 Milliarden Euro in die USA, andersrum waren es 334 Milliarden.

TRUMP WILL “EINE MENGE GELD”

Trump schrieb in einem Internet-Post, es gebe jetzt Verhandlungen mit Regierungen aus zahlreichen Ländern, darunter Japan. Dessen Ministerpräsident Shigeru Ishiba beklagte sich aber über die Zölle. “Ich habe dem Präsidenten gesagt, dass Japan über fünf Jahre hinweg der größte Investor in den USA war – und dass diese Politik die Fähigkeit japanischer Firmen zu investieren beeinträchtigt.”

Wegen der starken Verluste an den weltweiten Aktienmärkten zeigte sich Trump nicht besorgt. “Manchmal muss man Medizin nehmen, um etwas zu heilen.” Er habe am Wochenende mit führenden Politikern aus Europa und Asien gesprochen. “Sie kommen an den Tisch. Sie wollen reden, aber es gibt keine Gespräche, wenn sie uns nicht jedes Jahr eine Menge Geld zahlen.”

Nach Angaben von US-Finanzminister Scott Bessent haben über 50 Länder seit der Ankündigung der neuen Zölle am vergangenen Mittwoch Verhandlungen mit den USA aufgenommen. Trump habe sich “ein maximales Druckmittel verschafft”, sagte Bessent dem Sender NBC. US-Handelsminister Howard Lutnick sagte CBS, die Zölle würden “für Tage und Wochen” in Kraft bleiben.

EU DISKUTIERT ÜBER VORGEHEN GEGEN US-INTERNETRIESEN

Von der Leyen traf am Montag Vertreter der Stahlindustrie, um über die Folgen des Handelskriegs zu sprechen. Die Stahlkocher befürchten unter anderem, dass ursprünglich für die USA gedachte Stahllieferungen von Billiganbietern aus Fernost die europäischen Märkte überfluten. Am Montag war noch ein Treffen mit Vertretern der Automobilindustrie geplant. Am Dienstag stehen Gespräche mit der europäischen Pharmaindustrie an.

Audi legt wegen der neuen Zölle die Lieferung von Fahrzeugen in die USA auf Eis. Eine Unternehmenssprecherin bestätigte ein entsprechendes Schreiben an die Händler. Demnach sollen alle Fahrzeuge, die nach dem 2. April in die USA gelangt seien, vorerst zurückgehalten und nicht an die Händler übergeben werden. Diese sollten sich nun darauf konzentrieren, ihre Lagerbestände zu reduzieren. Derzeit habe Audi in den USA mehr als 37.000 Autos auf Lager, die nicht von den neuen Zöllen betroffen seien und damit verkauft werden könnten. Das reiche aus für etwa zwei Monate.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck plädierte in Luxemburg für eine besonnene Antwort der EU. “Der Schaden kann noch größer werden.” Die EU müsse jetzt ruhig und umsichtig, aber auch klar und entschieden agieren. Sie sei in einer starken Position, wenn sie Geschlossenheit unter Beweis stelle und sich nicht von Trump spalten lasse. Denkbar sei es, den Druck im Pharmabereich zu erhöhen, den Trump zunächst ausgenommen hatte. Hier seien die USA verwundbar. Die EU könnte Exporte in die USA verteuern und so den Druck erhöhen. Außerdem könnten wettbewerbsrechtliche Maßnahmen vorbereitet werden, wozu auch eine Digitalsteuer gehören könne. Diese ist aber umstritten. Unter anderem Irland bremste bei entsprechenden Überlegungen.

REZESSION BEFÜRCHTET

CDU-Chef Friedrich Merz forderte als Reaktion auf die jüngsten Verluste an den Finanzmärkten deutliche Konsequenzen für die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. “Die Lage an den internationalen Aktien- und Anleihemärkten ist dramatisch und droht sich weiter zuzuspitzen”, sagte der voraussichtliche Kanzler der Nachrichtenagentur Reuters. “Es ist deshalb dringlicher denn je, dass Deutschland so schnell wie möglich seine internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellt.” Diese Frage müsse jetzt im Zentrum der Koalitionsverhandlungen stehen. “Wir brauchen Steuersenkungen für Unternehmen und Bürger, einen spürbaren Rückbau der lähmenden Bürokratie, die Senkung der Energiepreise und eine Stabilisierung der Kosten für die sozialen Sicherungssysteme.”

Der von Trump ausgelöste Handelskrieg macht eine erneute Rezession in Deutschland wahrscheinlicher. “In der kurzen Frist wird sich die neue Bundesregierung schwertun, den unmittelbaren Handelsschock abzufedern”, schrieben die Ökonomen Marc Schattenberg und Robin Winkler von Deutsche Bank Research in einer Analyse. Die bisherige Wachstumsprognose von 0,3 Prozent für 2025 könnte sich als zu optimistisch herausstellen, falls sich die US-Zölle als dauerhaft erweisen sollten. “Insgesamt neigen sich die Konjunkturrisiken für 2025 in Richtung eines dritten Rezessionsjahres in Folge.” Europas größte Volkswirtschaft ist bereits 2023 um 0,3 Prozent geschrumpft, 2024 um weitere 0,2 Prozent.

(Mitarbeit von Andreas Rinke und Trevor Hunnicutt, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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