Berlin (Reuters) – Mini-Wachstum, mehr Arbeitslose, weniger Beschäftigte: Die künftige Bundesregierung kann in diesem Jahr auch wegen des Zollstreits mit den USA nicht mit Rückenwind von der Konjunktur rechnen.
Die führenden Forschungsinstitute erwarten für 2025 auch wegen der Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump nur noch ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 0,1 Prozent, nachdem sie im vergangenen September noch 0,8 Prozent prognostiziert hatten. Das geht aus der am Donnerstag veröffentlichten Gemeinschaftsdiagnose für die Bundesregierung hervor. Damit würde Europas größte Volkswirtschaft knapp an einem dritten Rezessionsjahr in Folge vorbeischrammen: 2023 war sie um 0,3 Prozent und 2024 um 0,2 Prozent geschrumpft.
Für das kommende Jahr bestätigten die Institute hingegen ihre Wachstumsprognose von 1,3 Prozent – dann sollen die Milliarden aus dem Finanzpaket von Union und SPD für Infrastruktur und Rüstung die Konjunktur anschieben. Die Institute rechnen mit Mehrausgaben von rund 24 Milliarden Euro, die das BIP um etwa 0,5 Prozentpunkte ankurbeln sollen.
“Die geopolitischen Spannungen und die protektionistische Handelspolitik der USA verschärfen die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage in Deutschland”, sagte der Konjunkturchef des Essener RWI-Instituts, Torsten Schmidt, in Berlin. Allein die US-Zölle auf Aluminium-, Stahl- und Kfz-Importe dürften das Wachstum in diesem und im kommenden Jahr um jeweils 0,1 Prozentpunkte verringern. Die von US-Präsident Donald Trump am 2. April verkündeten und nun wieder ausgesetzten Zölle von 20 Prozent auf viele andere Waren “könnten die negativen Effekte verdoppeln”, wie es hieß.
STRUKTURREFORMEN ANGEMAHNT
“Zusätzlich sehen sich deutsche Unternehmen einem verstärkten internationalen Wettbewerb ausgesetzt – vor allem aus China”, warnte Schmidt. Nicht zuletzt lasteten strukturelle Schwächen wie der Fachkräftemangel und hohe bürokratische Hürden auf den Wachstumskräften. Diese ließen sich nicht durch eine bloße Erhöhung der Staatsausgaben lösen und machten Reformen umso dringlicher: “So braucht etwa das Sozialsystem Anpassungen an den demografischen Wandel, damit die Lohnnebenkosten nicht weiter stark steigen.”
Die Konjunkturflaute hat auch Folgen für den Arbeitsmarkt. Seit Mitte 2022 sei die Zahl der Arbeitslosen um 20 Prozent gestiegen, hieß es. Sie soll in diesem Jahr auf 2,952 Millionen anwachsen – das wären rund 165.000 mehr als 2024. Der Abbau von Stellen erfolge vor allem im Verarbeitenden Gewerbe, in der Baubranche und bei Unternehmensdienstleistern, während im öffentlichen Dienst, in der Erziehung und im Gesundheitsbereich Zuwächse erwartet werden. “Erst wenn sich die wirtschaftliche Situation im Verlauf des Jahres 2026 verbessert, ist wieder von einer sinkenden Arbeitslosigkeit auszugehen”, hieß es. Bei den Beschäftigten wird ein Rückgang erwartet, doch soll die Zahl über der Marke von 46 Millionen bleiben. Bei der Inflation erwarten die Institute keine größeren Ausschläge. So sollen die Verbraucherpreise in diesem Jahr erneut um 2,2 Prozent zulegen. 2026 soll die Teuerungsrate dann auf 2,1 Prozent sinken.
Die Frühjahrsprognose dient der Bundesregierung als Basis für ihre neuen Projektionen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. Erstellt wird sie vom RWI in Essen, vom Ifo-Institut in München, vom IfW in Kiel, vom IWH in Halle und vom Berliner DIW.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) hält ein erneutes Rezessionsjahr für wahrscheinlich. “Die erratischen Zollankündigungen von US-Präsident Trump mit ihren unheilvollen Auswirkungen auf den Welthandel sorgen für zusätzliche Belastung der exportorientierten deutschen Wirtschaft”, reagierte DIHK-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov auf das Gutachten. Umso wichtiger sei, dass die künftige Bundesregierung eine Trendwende einleite. Die geplanten Entlastungen im Koalitionsvertrag von Union und SPD summieren sich einer Studie zufolge bei vollständiger Umsetzung auf mehr als 50 Milliarden Euro – pro Jahr: Allein die geplante Senkung der Stromsteuer und Deckelung der Netzentgelte in Verbindung mit dem Industriestrompreis würden eine Entlastung in Höhe von elf Milliarden Euro versprechen, ergaben Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW).
“Es gibt in der Tat Lichtblicke”, sagte Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) zu den schwarz-roten Vorhaben. Er verwies auf den geplanten Bürokratieabbau, “Superabschreibungen” auf Investitionen und Gelder zur Sanierung der Infrastruktur sowie Investitionen in Künstliche Intelligenz und Digitalisierung. “Es gibt leider auch entscheidende Leerstellen.” So sei die langfristige Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme schwierig. Viele Ziele von Union und SPD seien zudem nur vage ausformuliert worden.
(Bericht von Rene Wagner, Christian, Krämer und Reinhard Becker, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)