Wolf, Geld, Renten, Minister – Was bringt Schwarz-Rot dem Osten?

– von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) – In der heißen Phase der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD hatten die sechs ostdeutschen Ministerpräsidenten extra eine eigene Ost-Konferenz in Berlin organisiert, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen.

Der Grund: In den von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern dominierten Parteien kommen Anliegen des Ostens normalerweise selten prominent vor. Nun liegt der schwarz-rote Koalitionsvertrag vor – und die Frage ist, ob genug “Osten” in den Verabredungen steckt. Das ist auch mit Blick auf die Landtagswahlen in zwei ostdeutschen Bundesländern 2026 und für die Auseinandersetzung mit der im Osten besonders starken AfD wichtig.

FINANZEN

Besonders ostdeutsche Ministerpräsidenten hatten angesichts der deutlich geringeren Steuereinnahmen als in Westländern darauf gedrungen, dass die Länder wieder begrenzt Kredite aufnehmen dürfen. Dies wurde durch die Reform der Schuldenbremse erreicht. Zudem stehen aus dem neuen Sondervermögen Infrastruktur zusätzliche Milliarden für Investitionen in Verkehr, Schulen, Kitas und Krankenhäuser auch im Osten zur Verfügung. Zudem übernimmt der Bund nun einen größeren Teil noch zu zahlender Rentenansprüche aus DDR-Zeiten und beteiligt sich an der Entschuldung von Kommunen.

VERKEHRSWEGE

Verabredet ist, dass die Verkehrsanbindungen zu Polen und Tschechien schneller ausgebaut werden. Dazu sollen auch Mittel aus dem Sondervermögen Infrastruktur mit beschleunigten Genehmigungsverfahren eingesetzt werden.

RENTENIVEAU GESICHERT

Auf Bundesebene wird seit langem entlang Parteilinien über die Fixierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent gestritten. Im Osten ist dies anders. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) verwies mehrfach darauf, dass die gesetzliche Rente für die allermeisten Ostdeutschen die einzige Altersabsicherung ist. Es fehlen Betriebsrenten, private Kapitalanlagen oder Erbschaften wie im Westen. Der Kompromiss von Union und SPD, das Rentenniveau bis 2031 zu sichern, ist also nicht nur ein Zugeständnis an die SPD, sondern vielmehr an die Ostdeutschen – auch wenn es den Reformdruck für das gesamte System weiter erhöht.

MINDESTLOHN/TARIFBINDUNG

Ähnlich sieht es bei dem Kompromiss zum Mindestlohn und Tariftreuegesetz aus. Etwa 30 Prozent der Beschäftigten in Ostdeutschland verdienen weniger als 15 Euro in der Stunde, deutlich mehr Menschen als im Westen erhalten nur den Mindestlohn, Tarifverträge sind wesentlich seltener. Vom verabredeten Ziel, 2026 möglichst auf einen Mindestlohn von 15 Euro zu kommen, könnten also Millionen profitieren. Dies gilt schon deshalb als wichtig, weil Schwarz-Rot die eigentlich versprochene Steuersenkung für niedrige und mittlere Einkommen verschoben hat.

MIGRATION

Die Verschärfungen in der Migrationspolitik treffen in Ostdeutschland ebenfalls einen anderen Nerv als im Westen. Die AfD erzielte auch deshalb in den vergangenen Jahren im Osten deutlich höhere Werte als im Westen, weil sie die Ängste einer Gesellschaft schürte, die immer älter wird und stärker zuwanderungskritisch ist. Auch die nun korrigierte schnelle Einbürgerung nach drei Jahren war im Osten auf höhere Ablehnung gestoßen.

KABINETTSPOSTEN NOCH UNKLAR

Einige Ministerpräsidenten pochen darauf, dass Ostdeutschland drei bis vier Kabinettsposten besetzen kann. Ob dies gelingt, ist unsicher. Das Amt des Ostbeauftragten blieb erhalten, wandert aber vom Kanzleramt ins Finanzministerium. Es sollen weitere Bundeseinrichtungen in den Osten kommen.

DER WOLF

Es klingt für manchen wie eine Petitesse: Aber Ministerpräsidentin Schwesig verwies darauf, wie wichtig es sei, dass der Bund endlich einen schnelleren Abschuss des sich rasch ausbreitenden Wolfs zusagt. Dieses Thema hatte der AfD in vielen ostdeutschen ländlichen Gebieten seit Jahren erheblichen Zulauf beschert. Schwesig kritisierte, dass Bundesregierungen sich lange nicht kümmerten, weil der Wolf “nur” im Osten Schafe reiße. Dies ist allerdings auch in einigen westlichen Regionen ein hoch umstrittenes Thema. Im Koalitionsvertrag steht nun, dass man mit der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes und der Aufnahme in das Jagdrecht “für eine rechtssichere Entnahme von Wölfen” sorgen werde.

ANERKENNUNG DER LEBENSLEISTUNG

Mit Blick auf die anstehende Feier zu 35 Jahren Deutsche Einheit gehen die Koalitionäre in der Präambel des Koalitionsvertrages ein. Allerdings wird erkennbar, dass der Vertrag vor allem von westdeutschen Politikern geschrieben wurde. “In den 35 Jahren seit der Wiedervereinigung haben die Menschen in Ostdeutschland Außergewöhnliches geleistet”, heißt es dort etwa. Als ob dies in der DDR für viele nicht auch der Fall gewesen sei, kritisiert ein führender ostdeutscher Politiker.

(Redigiert von Christian Rüttger und redigiert von Jörn Poltz.)

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