Zürich (Reuters) – Der Appetit von europäischen Firmen auf Zukäufe in den USA ist der Investmentbank JPMorgan zufolge auch nach der Eskalation des Zollstreits ungebrochen.
“Wir erhalten im Durchschnitt drei oder vier Anrufe pro Woche von Kollegen aus Europa, die sagen: ‘Ich habe einen Kunden, der gerne 300 bis 800 Millionen Dollar in den USA investieren würde. Können Sie uns Akquisitionsideen vorstellen?'” erklärte John Richert, der das JPMorgan-Investmentbanking für mittelgroße Firmen in den USA leitet. “Das hat sich trotz des unsicheren Umfelds nicht verlangsamt.” Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen, denn eine US-Präsenz sei für viele Unternehmen eine Absicherung gegen die Unsicherheit rund um die Zölle.
Dazu komme, dass die USA aufgrund ihrer Marktgröße und der Wachstumsaussichten grundsätzlich weiter attraktiv seien. Gleichzeitig würden aber auch US-Firmen vermehrt ein Auge auf Europa werfen. “US-Unternehmen sind besonders an europäischen Sektoren wie Verteidigung und Infrastruktur interessiert”, erklärte Richert. Angesichts der milliardenschweren Investitionsprogramme Deutschlands und anderer europäischer Länder sei ein Standbein auf dem Kontinent für Anleger und Firmen aus den USA eine Absicherung gegen Ausschläge im Heimmarkt. Bevor sie ihre Vorhaben umsetzten, warteten allerdings viele auf eine Stabilisierung der Zinsen.
Die von der Politik ausgehenden Unwägbarkeiten lasten auf den Transaktionsvolumen. Die Zahl der weltweiten Übernahmen sei in den ersten drei Monaten auf den tiefsten Stand seit zehn Jahren gesunken, sagte Richert. Angaben von Dealogic zufolge gingen die Übernahmen seit Jahresbeginn um über 22 Prozent auf 9095 zurück. Dabei hatte 2025 vielversprechend begonnen. “Zu Beginn des Jahres war der Enthusiasmus der Vorstände und CEOs für Übernahmen größer als ich es je erlebt habe”, schildert Richert. Doch innerhalb weniger Wochen habe die Stimmung völlig gedreht. “Das war wahrscheinlich die schnellste Veränderung, die ich in meinen 30 Jahren im Bankgeschäft erlebt habe.”
JP Morgan hofft aber auf baldige Erholung. Es befänden sich zahlreiche Deals in der Pipeline, erklärte Bernhard Brinker, Co-Chef des Firmenkundengeschäfts des US-Riesen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. “In der zweiten Jahreshälfte könnte es zu beträchtlichen Aktivitäten kommen, insbesondere in den Bereichen Gesundheitswesen, Technologie und Verteidigung.” Richert zufolge ist Klarheit zu Zöllen, Steuern, dem US-Haushalt, Zinssätzen und den geopolitischen Spannungen entscheidend für eine Belebung der Aktienmärkte und der Zukaufs-Aktivitäten, auch wenn einige Kunden das laufende Jahr bereits abgeschrieben hätten. “Diese Klarheit könnte zeigen, dass sich die Situation verschlechtert hat, aber zumindest haben wir dann ein besseres Verständnis der Gesamtlage.”
(Bericht von Oliver Hirt, redigiert von Philipp Krach. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)