– von Andreas Rinke
Paris/Warschau (Reuters) – Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz hat mit dem französischen Präsident Emmanuel Macron und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk am Mittwoch einen “Neustart für Europa” verabredet.
Merz und Macron betonten bei dem Antrittsbesuch in Paris die Notwendigkeit, die industrielle Basis in der EU zu stärken und enger in der Verteidigungspolitik und -industrie zusammenzuarbeiten. Ähnlich äußerte sich Tusk. Bei beiden Gesprächen war zudem die Abstimmung über die Ukraine-Politik zentrales Thema. Die drei Regierungen versicherten dem von Russland überfallenen Land die weitere Solidarität.
Einen Tag nach seiner Wahl zum Kanzler im zweiten Anlauf im Bundestag war Merz zu Antrittsbesuchen nach Paris und Warschau gereist. Er betonte auf dem Flug nach Frankreich, dass er damit “ein Zeichen nach innen und außen setzen” wolle. “Mir liegen diese beiden Länder sehr am Herzen”, sagte der CDU-Chef. “Das Weimarer Dreieck als gemeinsames Format mit Polen und mit Frankreich ist etwas, was wir stark nutzen sollten.” Tusk betonte in Warschau, dass das Trio der EU-Staaten auch eine enge Abstimmung mit Großbritannien plane.
Macron sprach in Paris von der Notwendigkeit eines neuen “deutsch-französischen Reflexes”. In Europa seien mehr öffentliche Investitionen nötig. Man wolle zusammen mit Deutschland auf Reformen in der EU dringen. Diese seien auch nötig, um eine Benachteiligung der in Frankreich besonders intensiv genutzten Atomenergie zu vermeiden. Merz sagte, man müsse eine stärkere Integration der Finanzmärkte in der EU und besonders zwischen Deutschland und Frankreich erreichen. In der Sicherheitspolitik und Fragen wie etwa der Ukraine solle es eine verstärkte Absprache im 3+3 Format geben, kündigte der Kanzler an. Dieses Format umfasst Kanzler, Präsident sowie die Verteidigungs- und Außenminister beider Länder.
DIFFERENZEN BEI HANDEL UND FINANZEN MIT FRANKREICH
In der traditionell zwischen den beiden größten EU-Volkswirtschaften strittigen Handelspolitik dringt Merz auf mehr Freihandelsabkommen und eine möglichst schnelle Ratifizierung des vorliegenden EU-Mercosur-Handelsabkommens mit südamerikanischen Staaten. Ansonsten verliere die EU ihre Glaubwürdigkeit. Macron betonte dagegen, dass man europäische Unternehmen gegen “unausgewogene Abkommen” schützen müsse. Frankreich verhindert wie einige andere EU-Staaten eine Ratifizierung des Mercosur-Abkommens, weil es Nachteile für die eigene Landwirtschaft fürchtet.
Ähnlich ist es mit Differenzen in der Fiskal- und Schuldenpolitik. Macron lobte die deutschen Beschlüsse etwa zur Aufweichung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben, forderte aber mehr öffentliche Investitionen auf EU-Ebene. “Der Fiskalpakt gilt”, betonte dagegen Merz mit Blick auf die europäische Ebene. Er unterstütze, dass die EU-Kommission ähnliche Ausnahmen erlauben wolle wie dies in Deutschland der Fall sei. “Wir werden aber dabei bleiben, dass es richtig ist, dass jenseits der Verteidigungsausgaben diese Fiskalregeln in der Europäischen Union gelten.” Denn nur sie schafften finanzpolitische Stabilität und seien ein klares Signal an die Kapitalmärkte, dass die EU sich weiter darum bemühen wolle, die Schuldentragfähigkeit ihrer Mitgliedstaaten nicht zu überfordern.
MERZ: EFFIZIENTERE WAFFENEINKÄUFE WICHTIGER ALS GELD
Auch bei dem Treffen mit Tusk stand neben der Migration die Verteidigungspolitik im Vordergrund. Es müsse klar sein, wer Feind und wer Bündnispartner sei, sagte Tusk in Anspielung auf frühere deutsche Kontakte zu Russland. Polen gebe in diesem Jahr 4,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Verteidigung aus und sei ein Vorbild in der EU. Sein Land wolle nicht nur die größte, sondern auch stärkste Armee in Europa haben. Er hoffe, dass auch Deutschland seine Verteidigungsausgaben schnell erhöhe.
Merz lehnte in Warschau erneut eine gemeinsame europäische Schuldenaufnahme für Verteidigungsausgaben in der EU ab. Viel wichtiger als Geldfragen seien für ihn zunächst, dass die Europäer weniger unterschiedliche Waffensysteme produzierten und größere Stückzahlen bestellten. Vor allem Polen gilt als Problemfall, weil das Land statt europäische Waffen in der Vergangenheit erst amerikanische, dann südkoreanische Waffensysteme kaufte.
Tusk mahnte zudem, dass Deutschland nicht einseitig die Grenzkontrollen nach Polen verschärfen sollte. Zu dem deutsch-polnischen Dauerstreitthema der Reparationen für die deutschen NS-Verbrechen in Polen im Zweiten Weltkrieg sagte Merz, dass diese Debatte abgeschlossen sei. Deutschland bekenne sich aber zu seiner Verantwortung und man werde in Kürze ein Mahnmal an die polnischen Opfer in Berlin eröffnen. Auch Tusk bemühte sich, das in Polen immer wieder diskutierte Thema nicht hochzuziehen. Es gehe jetzt darum, mit Deutschland eine sichere Zukunft aufzubauen, sagte er. “Ob es einmal eine Zeit geben wird für eine wahre Wiedergutmachung, das werden wir sehen.”
(Mitarbeit: Alexander Ratz; redigiert von Kerstin Dörr. Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)