Ukraine: Russland verstößt gegen seine selbst ausgerufene Feuerpause

Kiew (Reuters) – Russland hat die selbst verkündete Feuerpause in seinem Krieg gegen die Ukraine nach deren Angaben nicht eingehalten.

“Die russischen Streitkräfte greifen weiterhin entlang der gesamten Frontlinie an”, erklärte der ukrainische Außenminister Andrij Sybiha am Donnerstag auf dem Kurznachrichtendienst X. Bis zum Mittag habe Russland 734 Mal gegen seine Ankündigung verstoßen, von Mitternacht an drei Tage lang die Waffen schweigen zu lassen. Im Osten der Ukraine hätten russische Truppen ihre Angriffe fortgesetzt, sagte ein ukrainischer Militärsprecher. Die ukrainische Luftwaffe erklärte, russische Flugzeuge hätten Lenkbomben auf die Region Sumy im Norden des Landes abgeworfen.

Das russische Verteidigungsministerium erklärte laut der Nachrichtenagentur Interfax, die Ukraine habe ihrerseits 488 Angriffe auf russische Ziele gestartet und zweimal versucht, die Grenze in der Region Kursk zu durchbrechen. Beide Seiten kommentierten die gegenseitigen Berichte zunächst nicht. Die Ukraine hat die von Russland angekündigte Unterbrechung seiner Angriffe als Kriegslist bezeichnet, mit der sich Putin zu Unrecht als Friedensstifter präsentieren wolle. Die Ukraine hat sich ihrerseits zu einer 30-tägigen Waffenruhe bereiterklärt. Auf dieses Angebot ist Russland nicht eingegangen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Mittwoch erklärt, dies zeige deutlich, wer der Kriegstreiber sei.

Russland hatte anlässlich seiner Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag der Kapitulation Nazi-Deutschlands im Zweiten Weltkrieg eine dreitägige Waffenruhe ausgerufen. Präsident Wladimir Putin nimmt am 9. Mai die traditionelle Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau ab. Bereits das Datum ist ein Politikum: Während Russland sich in der Tradition der Sowjetunion auf das Inkrafttreten der Kapitulation nach Moskauer Zeit beruft, orientiert sich die Ukraine mittlerweile an der westlichen Zeitrechnung, wonach das Ereignis auf den 8. Mai fiel. An der Zeremonie in Moskau nehmen führende Politiker befreundeter Staaten teil, darunter Chinas Präsident Xi Jinping.

Nachdem in den Tagen zuvor Russland und die Ukraine gegenseitig ihre Hauptstädte Kiew und Moskau aus der Luft angegriffen hatten, sollten nach Putins Angaben bis einschließlich Samstag die Waffen ruhen. Putins Sprecher Dimitri Peskow hatte bereits am Mittwoch deutlich gemacht, dass Hintergrund der ausgerufenen Feuerpause ein ungestörter Verlauf der Parade sei, bei der Russland seine militärische Macht demonstriert. “Unsere Geheimdienste und unser Militär ergreifen alle notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Feierlichkeiten zum Großen Sieg in einer ruhigen, stabilen und friedlichen Umgebung stattfinden”, hatte Peskow gesagt.

Den Sieg der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion über Nazi-Deutschland 1945 nimmt Russland überwiegend für sich in Anspruch. Putin bezeichnet die ukrainische Führung ebenfalls als Faschisten und zieht eine Parallele zwischen dem Kampf der Sowjetunion gegen die deutschen Angreifer im Zweiten Weltkrieg und Russlands gegenwärtigem Vorgehen gegen die Ukraine. Xi gegenüber sprach Putin am Donnerstag von einem “heiligen” Sieg im Zweiten Weltkrieg und der “historischen Wahrheit”, die er für seine Sichtweise in Anspruch nehme. Zur Sowjetunion gehörte unter anderem auch die Ukraine, die damals wie Teile Russlands und weitere Sowjetrepubliken Kriegsschauplatz war.

Russland überzieht das Nachbarland seit der groß angelegten Invasion im Februar 2022 immer wieder mit schweren Luftangriffen. Während Russland der Ukraine bei Bomben tragenden Militärflugzeugen und Raketen weit überlegen ist, hat die Ukraine beim Aufbau einer Drohnenflotte aufgeholt. Ukrainische Drohnenangriffe auf Moskau hatten in den vergangenen Tagen unter anderem zur Schließung von Flughäfen der Hauptstadt geführt.

(Bericht von Christian Lowe, Tom Balmforth, Yuliia Dysa, Ron Popeski, Oleksandr Kozhukhar, Alina Smutko, Herbert Villarraga, Christian Lowe, Elizabeth Piper, Ron Popeski, Oleksandr Kozhukha.; Redigiert von Hans Busemann. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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